Melancholia

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In seiner gewaltigen Bildsymphonie „Melancholia“ versucht der dänische Provokateur Lars von Trier seine eigene Depression zu verarbeiten. Zwei ungleiche Schwestern lässt der ehemalige Dogma-Regisseur seine wuchtige Vision einer Apokalypse erleben und schwelgt dabei in deutscher Romantik und bombastischen Wagner-Klängen. Trier-Muse Charlotte Gainsbourg aus „Antichrist“ und die blonde deutschstämmige Hollywoodschauspielerin Kirsten Dunst, die für ihre schauspielerische Leistung in Cannes die „Silberne Palme“ erhielt, veredeln das intime Drama.

Webseite: www.melancholia-derfilm.de

Deutschland, Dänemark, Schweden, Frankreich, Italien 2011
Regie: Lars von Trier
Drehbuch: Lars von Trier
Kamera: Manuel Alberto Claro
Schnitt: Molly M. Stensgaard
Darsteller: Kirsten Dunst, Charlotte Gainsbourg, Kiefer Sutherland, Charlotte Rampling, John Hurt, Alexander Skarsgård, Stellan Skarsgård ,Brady Corbertt
Länge: 130 Minuten
Verleih: Concorde Filmverleih
Kinostart: 6. Oktober 2011

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

„Die Erde ist schlecht“, glaubt die depressive Artdirektorin Justine (Kirsten Dunst) gelassen. „Niemand wird traurig sein, wenn sie nicht mehr existiert.“ Ihre pragmatische Schwester Claire (Charlotte Gainsborough), Mutter eines kleinen Sohnes, hört ihr entsetzt zu. Trotz der herannahenden Katastrophe, der unheimliche Planet „Melancholia“ rast auf die Erde zu, ist ihr Lebenswille ungebrochen. Justine hingegen sonnt sich nachts nackt im Schein des geheimnisvollen Sterns. Fast scheint sie das unausweichliche Ende der Menschheit zu genießen.

Schon mit seinen Werken wie dem beklemmend sperrigen Epos „Dogville“ oder der weiblichen Passionsgeschichte „Breaking the Waves“ warf Lars von Trier immer wieder einen äußerst pessimistischen Blick auf die menschliche Existenz. In seinem Melodram „Melancholia“ thematisiert der 55jährige Däne jetzt die Schrecken vor dem Weltuntergang. Dabei verpackt das Enfant terrible der Filmwelt seine jüngste Regiearbeit um Depression und Apokalypse virtuos in surreal malerische Bilder. Dramatisch mit der Musik aus Wagners „Tristan und Isolde“ unterlegt, zelebriert der Misanthrop unbarmherzig den Untergang und erzählt bildgewaltig von den letzten Tagen auf der Erde.

Gleich zu Beginn füllt das Gesicht einer blonden Frau (Kirsten Dunst) die Leinwand. Langsam öffnet sie die Augen. Hinter ihr fallen tote Vögel langsam vom Himmel. Aus ihren Fingerspitzen entweichen grelle Blitze. Ein prächtig glänzender Rappen versinkt im sumpfig gewordenen Rasen eines Golfplatzes. Schlingpflanzenartige Wurzeln hindern die junge Braut im weißen Hochzeitskleid am Laufen. Ein geheimnisvoll schimmender Planet nähert sich der Erde und geht auf Kollisionskurs. Der Todestanz beginnt. Im Hintergrund dröhnt Wagner. Bereits mit seiner wuchtigen Ouvertüre, einem surrealen Vivant Tableau voller magischen Realismus in extremer Zeitlupe, bereitet Trier seine ureigene Vision des Weltuntergangs vor. Er nimmt das Ende vorweg und signalisiert dem Zuschauer: Es gibt kein Entrinnen.

Eine illustre Hochzeitsgesellschaft dient ihm danach als Metapher für hohle Rituale und die Hoffnungslosigkeit der Welt. Die depressive, orientierungslos wirkende Justine (Kirsten Dunst), versucht mit ihrer Heirat ihrem Leben einen Sinn zu geben. Verzweifelt kämpft die junge Braut um ihr Glück. Auf einem idyllisch gelegenen Schloss in den schwedischen Schären feiert sie glamourös ihre Hochzeit mit dem rührend naiven Michael (Alexander Skarsgård). Aber schon der Beginn ihrer Ehe steht im wahrsten Sinn des Wortes unter einem schlechten Stern.

Das Hochzeitspaar kommt zu spät. Denn auf den engen Waldwegen hängt die weiße Stretch Limousine in jeder Kurve fest. Genervt erwartet Justines ältere Schwester Claire (Charlotte Gainsbourg) das noch recht ausgelassene Paar. Bald gerät die Feier freilich aus den Fugen. Justines geschiedene Eltern streiten sich. Ihre verbitterte Mutter Gaby (Charlotte Rampling) hasst Hochzeiten. Justines Chef, ein zynischer Manager aus der Werbebranche, verlangt von ihr den neuesten Werbeslogan und setzt einen jungen Typen auf sie an. Justine selbst fällt, je mehr alle ihr Glücklich sein einfordern, immer tiefer in eine Depression.

Im zweiten Teil des Films, der nach „Justine“ den Titel „Claire“ trägt, weitet sich die Tragödie aus. Die Anzeichen einer globalen Katastrophe verdichten sich. Melancholia, der Planet aus dem Tierkreiszeichen Skorpion, versteckt sich nicht mehr hinter der Sonne. Er rückt rasch näher. Gleichzeitig verkehrt sich das Verhältnis der beiden Schwestern. Nicht mehr Justine ist die lebensunfähige, hilfsbedürftige sondern für Claire beginnt der Boden unter ihren Füßen buchstäblich zu wanken. Ihr Mann (Kiefer Sutherland) dagegen ignoriert als wissenschaftsgläubiger Rationalist die Situation.

Zumindest gibt Trier dieses Mal nicht seiner Obsession für masochistisch leidende Frauen nach. Sie scheinen im Gegensatz zu den männlichen Protagonisten angesichts des Untergangs sogar so etwas wie Stärke zu entwickeln. Mit großem Gespür für Effekte, nervöser Handkamera, dem ehemaligen Markenzeichen der unprätentiösen Dogma-Filme, und einem bedrohlich wirkenden Soundtrack hält sein düsteres Drama den Spannungsbogen aufrecht. Anregung für die ästhetische Kraft seiner Bildsprache scheint sich Bildungsbürger Trier von genialen Malern des Fantastischen wie Hieronymus Bosch mit seinen an apokalyptische Verhältnisse mahnenden Visionen, und magischen Surrealisten wie dem Belgier Rene Magritte oder Max Ernst zu holen.

„Es ist ein Film über das Ende der Welt“, verkündete der imposante Künstler bei den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes, „weil die Menschheit es nicht besser verdient“. Auch Kultregisseur Aki Kaurismäki sieht für die Menschheit schwarz. Doch der Finne schenkte den Zuschauern mit „Le Havre“ eine humanistische Ballade samt Happy End. Nach dem Eklat in Cannes durch seine Äußerungen über Hitler und die Nazis boykottieren Argentinien und Israel von Triers apokalyptischen Abgesang. Bleibt die Frage, ob die gesellschaftlichen Ansichten eines Künstlers und seine Kunst tatsächlich zwei voneinander getrennte Welten darstellen.

Luitgard Koch

Ein mächtiger musikalischer Prolog Richard Wagnerscher Natur. Das All, die Erde, der Planet, der später das Ende der Welt herbeiführen wird. Ein imposantes Entrée.

Bezeichnerderweise heißt der Planet „Melancholia“. Das sagt viel aus über den Seelenzustand der beiden Frauen, um die es wesentlich geht.

Justine heißt die eine. Eine schöne aber traurige, tief depressive Frau. Um ihre Schwere zu überwinden will sie mit vielen Gästen im schlossähnlichen Anwesen ihres Schwagers John ihren Bräutigam Michael heiraten. Sie tut es auch. Aber das feierliche Hochzeitsfest bleibt für sie bloßes Ritual. Sie kann die dicke negative Hülle, die sie umgibt, nicht aufreißen. Die Ehe kann nichts als scheitern. (Ein paar Mal allerdings schießt sie in ihrer Argumentation weit über das Ziel hinaus.)

Die zweite Frau ist Claire, Justines Schwester. Sie ist mit John verheiratet, hat ein Kind. Schon deshalb ist sie anfangs glücklicher und fröhlicher. Sie versucht ihrer Schwester zu helfen.

Doch schließlich erliegen beide der Angst vor dem Planeten, der sich mit rasender Geschwindigkeit der Erde nähert. Ist der Aufprall fiktiv oder real? Auf jeden Fall ist er tödlich – das Ende der Welt.

Man kann den Film u. a. als Metapher für all die Bedrohung und Furcht verstehen, die in der Menschheit umgehen – seien sie durch den Klimawandel oder Atomunfälle veranlasst, durch Erdbeben oder Überschwemmungen, durch Wirtschaftskrise oder auch durch die offensichtliche Verschlechterung der Art und Weise, wie die Menschen miteinander umgehen.

Ein wieder einmal ziemlich außergewöhnlicher gedanklicher und filmischer Entwurf Lars von Triers’ – wenn auch nur „philosophische“ Theorie und Phantasie -, durchgehend exzellent in Szene gesetzt und super gespielt. Man versteht, dass Kirsten Dunst für ihren hervorragenden Auftritt als Justine dieses Jahr in Cannes eine Auszeichnung als beste Darstellerin erhielt. Charlotte Gainsbourg als Justines Schwester Claire steht ihr allerdings in nichts nach.

Weitere Spitzenschauspieler: Charlotte Rampling (Justines und Claires Mutter Gaby), Kiefer Sutherland (Claires Mann John), John Hurt (Justines und Claires Vater Dexter), Stellan Skarsgaard (Justines Chef Jack) oder Alexander Skarsgaard (Bräutigam Michael).

Thomas Engel