Miss Bala

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Zwischen Action-Film, Sozial-Drama und Gewalt-Märchen siedelt der mexikanische Regisseur Gerardo Naranjo den unglaublichen Trip der jungen Laura, die wie viele jungen Mädchen Schönheitskönigin werden will. Doch im Norden Mexikos beginnt für Laura auf eine Odyssee, die als Geschichte packt und dabei viel von der kriminellen Energie dieser Gesellschaft vermittelt.

Webseite: www.fox.de

Mexiko 2011
Regie: Gerardo Naranjo
Drehbuch: Mauricio Katz, Gerardo Naranjo
Kamera: Mátyás Erdély
Schnitt: Gerardo Naranjo
Musik: Emilio Kauderer
Darsteller: Stephanie Sigman, Irene Azuela, Miguel Couturier, Gabriel Heads, Noe Hernandez, James Russo, Jose Yenque
Länge: 113 Min.
Verleih: Twentieth Century Fox
Kinostart: 18.10.2012

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Die 23-jährige Laura Guerrero (Stephanie Sigman) ist aufgeregt wie all diese Mädchen auf allen Kontinenten, die als Schönheitskönigin eine Abkürzung zum Glück oder vor allem zum Wohlstand nehmen wollen. Doch Laura lebt in ärmlichen Verhältnissen in Mexiko, was einiges der rasanten Ereignisse erklärt, die sie in einen Strudel der Gewalt einsaugen. Mit einer Freundin geht sie eher zögerlich zu einer Party von Polizisten, die kurz darauf Zielscheibe einer brutalen Gang wird. In einer unglaublich spannenden und atemberaubenden Szene überlebt Laura auf der Toilette nicht nur das Massaker, sie sieht sogar den unmaskierten Anführer, der ausgerechnet über die Toiletten einstieg. Doch auch der gefürchtete Gang-Leader Lino (Noe Hernández aus „Sin Nombre“) erkannte das Mädchen, entführt sie später und benutzt sie - für kriminelle Hilfsdienste. Eine sexuelle Bedrohung schwingt bei dem martialischen Mann immer mit, doch erst einmal dient Lauras Aussehen nur als Fassade und Tarnung. Zuerst als Fahrerin bei einem Bombenanschlag, dann schließlich bei einem Attentat auf eine hochstehende Persönlichkeit. Mit Luxuswagen, Flugzeugen, viel Geld und gewaltigen Waffenarsenalen zeigt sich um sie der Drogenschmuggel im ganz großen Stil.

Die Ereignisse überschlagen sich, die Gewalt nimmt in extremem Maße zu, aber auch Laura wächst an den lebensgefährlichen Situationen. Sie ist kein Dummchen, das nur gut aussehen will. Ihr Spiegel zuhause ist mit berühmten Frauen geschmückt, sie schützt ihre Familie und verfolgt weiter den Plan, „Miss Baja California“ zu werden. Dabei ist sie längst Miss Bala (Kugel) geworden, mit neuer Entschlossenheit gewinnt sie die absurde, selbstverständlich auch korrupte Kür. Ein doppelter Hohn angesichts der Gewalt eines Staates zwischen Drogenkartellen und ebenso krimineller Polizei.

Der Regisseur Gerardo Naranjo machte schon 2008 mit dem märchenhaft-realistischen Jugendfilm „Voy a explotar“ („I'm Going to Explode", FIPRESCI-Preis in Thessaloniki) auf sich aufmerksam. Nun gelingt ihm das Kunststück, packende Action in einer sehr realistischen Umgebung zu erzählen. Ein wichtiges Element dabei ist Hauptdarstellerin Stephanie Sigman, der die Kamera ganz dicht folgt und die niemals in Richtung Action-Braut a la Lara Croft abdriftet. Bei unfassbaren Ereignissen, denen man gebannt folgt, sieht man bis zum bitteren Ende das einfache Mädchen - dann allerdings von der harten Schule des Lebens in einem deregulierten Staat völlig ernüchtert. Wer meint, dies sei unrealistisch, kann die Zahl der Filmtoten mit den fast 50.000 realen Toten relativieren, die Präsident Felipe Calderóns „Krieg“ gegen die Drogenkartelle seit 2006 zum Opfer fielen.

Günter H. Jekubzik

Wie der brutale, rücksichtslos geführte Drogenkrieg Mexiko beherrscht, zeigt Gerardo Naranjo in seinem brillanten Film. Aus der Perspektive einer jungen Kandidatin eines Schönheitswettbewerbs erzählt, bleiben die großen Zusammenhänge im Dunkeln, doch der Mantel der Gewalt, der alle Sphären der Gesellschaft dominiert, ist drückend spürbar. Einer der besten Filme des Jahres.

Einst war Mexiko für seine entspannte Lebensart bekannt, für Sonne, Strand und vielleicht noch die Reste der Atzteken-Kultur. Zunehmend bestimmen jedoch weniger angenehme Nachrichten den Blick: Drogenkriege, Entführungen, grausame Hinrichtungen, und Korruption haben Mexiko zu einem der gefährlichsten Länder der Welt gemacht. Ganz am Ende von „Miss Bala“ wird darauf hingewiesen, dass die Drogenkriege allein im Zeitraum zwischen 2006 und 2011 36.000 Tote gekostet haben und vor allem, dass mit Drogen allein in Mexiko 25 Milliarden Dollar umgesetzt wurden. In den vorangehenden 113 Minuten hat man keine Anklage an den Westen gesehen, dessen Gier nach Drogen entscheidende Ursache für die Missstände sind, keine Analyse der durch die gigantischen Geldmengen fast zwangsläufigen Korruption und auch keine Geschichte vom Aufstieg und Fall eines Gangsters. „Miss Bala“ ist eine Bestandsaufnahme der Realität, der mit konsequentem Blick die mexikanische Gegenwart schildert und dabei ebenso konsequent die Perspektive einer eigentlich unbeteiligten Zivilistin einnimmt, die zwischen die Fronten des Drogenkriegs gerät.

Dieser Blick gehört Laura (Stephanie Sigman), einer unbedarften, recht hübschen Frau Anfang 20, die mit kleinem Bruder und Vater in einem bescheidenen Haus lebt. Mehr schlecht als recht hält sich die Familie über Wasser, das Leben hat für Laura augenscheinlich nicht viel zu bieten. Es ist ihre Freundin Suzu, die die Geschehnisse in Gang bringt. Bei einer Modenschau wollen die Frauen teilnehmen, die Wahl zur Miss Baja (benannt nach dem an die USA grenzenden mexikanischen Bundesstatt Baja California) steht an und Suzu verspricht sich durch eine Liebschaft zu einem kleinen Licht der Drogenmafia gute Chancen. Denn ohne Beziehungen, ohne Bestechung und ohne sexuelle Gefälligkeiten läuft in Mexiko wenig, das wird unmissverständlich klar. Doch es kommt anders: Eine Party wird durch eine rivalisierende Gang aufgemischt, Laura kann knapp entkommen, doch die Sorge um ihre Freundin treibt sie zu einem Polizisten, der sie gleich bei den Gangstern abliefert. Chef der Bande ist Lino (Noe Hernandez), der unterkühlte Aggressivität ausstrahlt und die Situation zu nutzen weiß: Laura wird ihm als Helfer dienen, als Kurier, er wird wie selbstverständlich ihr Haus als Versteck benutzen, immer darauf vertrauend, dass Laura weiß, dass ihr keine Wahl bleibt.

Ein breites Geflecht aus Drogengeschäften und Bandenrivalität entwirft der Film, bei dem der Zuschauer ebenso wenig den Überblick behält wie Laura. Mal sieht man Jacken mit Aufschrift der amerikanischen Drogenpolizei DEA, dann der PGR, einer mexikanischen Polizeieinheit, dann normale Polizisten. Doch ob unter diesen Insignien auch wirklich Polizisten stecken oder nicht eher Gangster, die eine falsche Fährte legen wollen bleibt unklar. Konsequent bleibt der Blick des Films bei Laura, auch wenn um sie herum die Hölle losbricht. Nicht mehr als ein Spielball ist Laura, wie alle Zivilisten, die in diesen Krieg geraten und ist als Frau zusätzlich den Gelüsten der Männerwelt ausgesetzt. Sei es bei der Modenschau, in den Fängen der Gangster oder später als Trophäe eines Generals: Laura ist nicht mehr als ein Objekt, ein Körper, der benutzt wird.

Gerade die Beiläufigkeit, mit der Naranjo dies schildert, aber auch die Selbstverständlichkeit, mit der Laura und die anderen Zivilisten ihr Schicksal hinnehmen, lässt „Miss Bala“ zu so einem erschreckenden, aber auch faszinierendem Film werden. Ohne moralisieren zu müssen, aber auch ohne einen offensichtlichen Ausweg aus der Misere anzudeuten schildert Naranjo die mexikanische Realität. Dass er ganz nebenbei einige der eindrucksvollsten Plansequenzen jüngere Vergangenheit filmt und seinen Film in brillantes, kontrastreiches Licht taucht, macht ihn nur noch eindrucksvoller. All das macht „Miss Bala“ – das mexikanische Wort für Kugel… – zu einem der stilistisch wie inhaltlich eindrucksvollsten Filme des Jahres.

Michael Meyns

Die Mexikanerin Laura ist ein schönes Mädchen, will deshalb auch mit ihrer Freundin Suzu an einem Miss-Wettbewerb teilnehmen. Zuerst wollen die beiden noch etwas erledigen oder vielleicht sogar tanzen gehen. Da kommt es plötzlich in der Halle, in der sie sich gerade aufhalten, zu einem Überfall durch eine Drogenbande. Eine wilde Schießerei beginnt, die mehrere Opfer kostet. Auch Suzu kommt um.

Laura kann sich verstecken, wird aber von einem Bandenmitglied aufgespürt. Da sie jetzt einen der Drogengangster kennt, muss sie als Geisel dienen. Der Bandenchef raubt sie, vergewaltigt sie, benützt sie mehrfach als Lockvogel. Die Verbrecher foltern aufs grausamste den Vertreter einer amerikanischen Institution.

Das nächste Opfer ist ein mexikanischer General. Laura soll mit ihm flirten – so vom Angriff ablenken. Das Mädchen bringt es nicht übers Herz, den Mann zu täuschen und ins Messer laufen zu lassen. Es verrät das Geplante. Das führt dazu, dass der Überfall misslingt, die Polizei die Oberhand gewinnt. Einige Bandenmitglieder sind danach tot, andere enden als Gefangene.

Laura hat ausgedient. Sie wird gefesselt einfach irgendwo aus dem Auto geworfen.

Steckten auch korrupte Polizisten dahinter? Man weiß es in diesem speziellen Falle nicht genau. Dass in Mexiko aber vermeintliche Ordnungshüter mit der Drogenmafia gemeinsame Sache machen, weiß man sehr wohl. Im Abspann zu diesem Film ist Schlimmes zu lesen. Im vergangenen Jahrzehnt kamen in Mexiko innerhalb von sechs Jahren nicht weniger als 36 000 Menschen im Zusammenhang mit Drogen und Drogenverbrechen ums Leben.

Es ist ein eindimensionaler düsterer Film, der jedoch ernst genommen werden kann, weil er wohl viel Realistisches und Wahres in sich birgt. Das Mafia- und Gangsterwesen sowie die extreme Brutalität – wären sie nicht so wie hier dargestellt, es gäbe nicht diese vielen tausend Toten.

Filmisch ist alles sowohl inszenierungs- als auch lichtmäßig routiniert dem dunklen Geschehen angepasst.

Thomas Engel