Nehmen wir die Welt bald bloß über technische Geräte wahr? Kommunizieren wir womöglich in Kürze vor allem über Chatprogramme? Nicht mehr von Angesicht zu Angesicht? Von solch beunruhigenden Szenarien sind wir sicherlich noch ein gutes Stück entfernt. Seit einigen Jahren erproben Regisseure allerdings die visuelle Ausdruckskraft von Werken, deren Handlung sich einzig auf Computer- oder Handymonitoren abspielt. Versuche, die inzwischen unter der Bezeichnung Desktopfilme firmieren und mit „Searching“ mindestens einen größtenteils gelungenen Vertreter hervorgebracht haben. Aneesh Chaganty und Sev Ohanian, die kreativen Köpfe hinter dem wendungsreichen Thriller von 2018, sind auch an „Missing“, einer Fortsetzung im weiteren Sinne, beteiligt, dieses Mal aber „nur“ als Ideengeber und Produzenten. Plot und Figuren sind verschieden. Gleich geblieben ist aber die optische Gestaltung, sprich: Wir sehen der Protagonistin dabei zu, wie sie von ihrem Laptop aus in einen mysteriösen Kriminalfall einsteigt.
Website: https://www.sonypictures.de/filme/missing
Regie: Nick Johnson, Will Merrick
Drehbuch: Nick Johnson, Will Merrick
Darsteller: Storm Reid, Nia Long, Joaquim de Almeida, Ken Leung, Megan Suri, Amy Landecker, Tim Griffin, u. a.
Länge: 111 Minuten
Verleih/Vertrieb: Sony Pictures Germany
Kinostart: 23.02.2023
Website: https://www.sonypictures.de/filme/missing
Regie: Nick Johnson, Will Merrick
Drehbuch: Nick Johnson, Will Merrick
Darsteller: Storm Reid, Nia Long, Joaquim de Almeida, Ken Leung, Megan Suri, Amy Landecker, Tim Griffin, u. a.
Länge: 111 Minuten
Verleih/Vertrieb: Sony Pictures Germany
Kinostart: 23.02.2023
Über den Film
Originaltitel
Missing
Deutscher Titel
Missing
Produktionsland
USA
Filmdauer
111 min
Produktionsjahr
2023
Produzent
Qasabian, Natalie / Ohanian, Sev / Chaganty, Aneesh
Regisseur
Merrick, Will (II) / Johnson, Nicholas D.
Verleih
Starttermin
22.02.2023
FILMKRITIK:
Die Geschichte von „Searching“ schlägt sicherlich ein paar Haken zu viel, wirkt am Ende überkonstruiert. Das hohe Tempo des Films kaschiert jedoch so manche forcierte Drehbuchvolte. Was wohl noch wichtiger ist: Immer wieder schaffen es die Machern nicht nur, unser Onlineverhalten zu reflektieren und kritisch zu beleuchten. Auch das Innenleben der handelnden Personen vermittelt sich ein ums andere Mal dadurch, wie sie auf den verschiedenen Bildschirmen und Chatapplikationen agieren. Das Löschen eines Satzes, der dann leicht umformuliert gesendet wird, verrät zum Beispiel viel über die Gedanken und Gefühle des Absenders.
Solche Momente gibt es auch in „Missing“, etwa wenn ein abgeschicktes „Ich liebe dich“ nicht erwidert, sondern bloß mit einem Daumen-hoch-Emoji beantwortet wird. Eine Entscheidung, die einiges über das Verhältnis der beiden Gesprächspartnerinnen verrät. Die Teenagerin June (Storm Reid) liegt zwar nicht ständig mit ihrer Mutter Grace (Nia Long) im Clinch, findet ihre überfürsorgliche Ader aber schon ein wenig nervig. Zum Vorschein kommt diese Eigenschaft in geballter Form, bevor Grace mit ihrem Freund Kevin (Ken Leung) einen Urlaub nach Kolumbien antritt. Kurzerhand beauftragt sie ihre Freundin Heather (Amy Landecker), regelmäßig nach ihrer Tochter zu schauen, was dieser natürlich gar nicht schmeckt. Eine Party feiert June in Abwesenheit ihrer Mum trotzdem.
Als die Jugendliche die beiden Reisenden am Tag der Rückkehr vom Flughafen abholen will, wartet sie vergeblich. Da ihre Anrufe und Nachrichten unbeantwortet bleiben, wendet sich June an die Behörden, die für ihren Geschmack allerdings nicht richtig in die Gänge kommen. Um keine Zeit zu verlieren, nimmt sie das Heft selbst in die Hand und versucht, mithilfe diverser Onlinetools herauszufinden, wo Grace und Kevin stecken könnten. Schon bald erkennt sie, dass der Lebensgefährte ihrer Mutter Dreck am Stecken hat.
Ebenso wie „Searching“ beginnt „Missing“ mit einem kurzen Einblick in die Vorgeschichte der Hauptfiguren, die vom Tod eines Familienmitglieds überschattet wird. Junes Vater James (Tim Griffin), den wir in einer privaten Videoaufnahme mit seiner kleinen Tochter kurz zu Gesicht bekommen, stirbt an einem Gehirntumor. Grace und June ziehen daraufhin um und bauen sich ein neues Leben auf. Dass der Verlust auch Jahre später im Teenageralter noch schmerzt, wird deutlich, als sich June am Vatertag bei Instagram durch die Bilder klickt, auf denen ihre Freundinnen mit ihren Dads um die Wette strahlen.
Eine weitere Gemeinsamkeit mit „Searching“: Aus der Vermisstensituation erwächst eine fieberhafte, ständig neue Enthüllungen zu Tage fördernde Suche, die das Publikum geschickt dazu animiert, alle Möglichkeiten durchzuspielen, sich selbst einen Reim auf die Spuren und verdächtigen Hinweise zu machen. Der Plot wird schnell vorangetrieben, sodass man keine große Zeit hat, über seine logischen Brüche nachzudenken. Storm Reid liefert eine einnehmende, in ihrer Verzweiflung überzeugende Performance ab. Und prägnant führt uns der Film vor Augen, wie schnell man im Internet an Daten gelangen, Profile hacken und für eigene Zwecke nutzen kann. Zugleich weisen die Regisseure Nick Johnson und Will Merrick aber auch auf die digitalen Chancen hin, an die man vor zwei Jahrzehnten noch gar nicht denken konnte. So findet June über den Aufräumservice, den sie nach ihrer ausschweifenden Party bestellt, online rasch eine Partneragentur in Kolumbien, über die sie wiederum den hilfsbereiten Javi (Joaquim de Almeida) engagieren kann, der für sie vor Ort wichtige Rechercheaufgaben übernimmt. Zwischen den beiden entwickelt sich darüber hinaus eine vertrauensvolle Beziehung, für die das Regiegespann hier und da den zackigen Erzählfluss ein wenig unterbricht.
Federn lässt „Missing“ – einmal mehr in Übereinstimmung mit seinem lose verbundenen Vorgänger – im Schlussdrittel. Dass weiterhin konsequent die Bildschirmperspektive bedient wird, wirkt dann doch zu forciert. Und ferner strapaziert die überraschende Auflösung samt finaler Eskalation verstärkt die Glaubwürdigkeit der Geschichte. Unter dem Strich steht ein temporeicher, aufregender Thriller mit kleinen Macken, der sich – das sei noch kurz erwähnt – ein paar augenzwinkernde Seitenhiebe auf den aktuellen True-Crime-Boom erlaubt. Das Verbrechen aus „Searching“ taucht in „Missing“ nachgestellt im Rahmen einer Serie auf, die sich June auf ihrem Laptop anschaut. Eine netter Gag, der ganz am Ende um eine zusätzliche Pointe ergänzt wird.
Christopher Diekhaus