Jahrelang hatte er Filme über klassische Musik und ihre Interpreten gedreht, zuletzt hat sich der Schweizer Regisseur Georges Gachot anderen musikalischen Richtungen zugewandt. Vor sechs Jahren suchte er in „Wo bist du, João Gilberto?“ nach Spuren einer Bossa Nova-Legende, nun spürt er in „Misty – The Erroll Garner Story“ einer vergessenen Jazz-Größe nach.
Misty – The Erroll Garner Story
Schweiz/ Frankreich/ Deutschland 2024
Regie: Georges Gachot
Buch: Georges Gachot & Paolo Poloni
Dokumentarfilm
Länge: 100 Minuten
Verleih: Cologne Cine Collective/ Real Fiction Filmverleih
Kinostart: 23. Januar 2025
FILMKRITIK:
1977 starb der Jazzpianist Erroll Garner mit nur 55 Jahren, ein Herzstillstand nach einem Aneurysma beendete das Leben eines Musikers, der zu Lebzeiten als Legende galt. In den folgenden Jahren geriet Garner jedoch in Vergessenheit, warum, ist schwer zu sagen. Vielleicht war er als Performer zu unspektakulär, lies lieber die Musik für sich sprechen, als abseits von Bühne und Aufnahmestudio große Töne zu schwingen.
An Bildmaterial jedenfalls mangelt es nicht, schon vor zehn Jahren waren in Atticus Bradys Dokumentarfilm „No One Can Hear You Read“ vielfältige historische Aufnahmen zu sehen, die besonders Garners speziellen Spielstil zeigten. Als natürliches Genie wurde Garner bezeichnet, der sich das Spielen selbst beigebracht hat, aber nie lernte, Noten zu lesen. Sicher auch ein wenig Mythologisierung, aber das Garner mit seinem Stil auch viel zeitgenössische Kollegen begeisterte und zu Lebzeiten zahlreiche Platten aufnahm, die zum Teil in Millionenhöhe verkauft wurden, spricht eine deutliche Sprache.
Die nun auch in „Misty – The Erroll Garner Story“ zu hören ist, einem liebevollen Dokumentarfilm des Schweizer Regisseurs Georges Gachot, der vor allem Hommage an einen Musiker ist, der mehr Aufmerksamkeit verdient. In klassischer biographischer Manier lässt Gachot manche noch lebenden Wegbegleiter Garners zu Wort kommen, die voller Hochachtung und Verehrung über ihre Zeit mit dem Meister berichten. Garners Biograph Jim Doran ergänzt den Lebenslauf mit Fakten, vor allem aber kommen seine letzte Geliebte Rosalyn Noisette und die uneheliche Tochter Kim Garner zu Wort. Diese filmt Gachot in schwarz-weiß Aufnahmen, die mit meist melancholischen Klängen unterlegt sind, nicht zuletzt den schon im Filmtitel erwähnten „Misty“, Garlands erfolgreichste Aufnahme und ein Titel, der längst zum Jazz-Standard geworden ist.
Auch ein Treffen zwischen Kim Garner und hat Rosalyn Noisette hat Gachot arrangiert, offenbar das erste überhaupt, in dem die beiden inzwischen alt gewordenen Frauen in Erinnerungen schwelgen. Ein wenig viel aufgesetzte Melancholie, die wie ein etwas bemühter Versuch wirkt, einem ohne große Hürden verlaufenen Leben etwas Dramatik und Tragik abzuringen.
Denn wie in den sehenswerten Archivbildern, die Gachot für seinen Film zusammengetragen hat, deutlich wird, hatte Garner eine schöne, erfolgreiche Karriere, in der es zwar die für die Zeit – seine ersten Aufnahmen entstanden Mitte der 40er Jahre, also gut zwei Jahrzehnte bevor die Bürgerrechtsbewegung zumindest auf dem Papier Parität herstellte – üblichen Diskriminierungen gab, die ihn selbst allerdings nicht allzu sehr gestört zu haben scheinen. Zumindest äußert er sich diesbezüglich so, machte für die TV-Kamera gute Miene zum vielleicht bösen Spiel. Wirklich in die Tiefe zu blicken gelingt Georges Gachon in „Misty – The Erroll Garner Story“ zwar nicht, aber nicht jede Biographie eines schwarzen Künstlers muss zu einer Allegorie über die amerikanische Gesellschaft herhalten, manchmal reicht es auch einfach, die Kunst, in diesem Fall Garners spektakuläres Klavierspiel, für sich sprechen zu lassen.
Michael Meyns