Mit einem Tiger schlafen

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Ein biographischer Film, der mehr sein möchte als bloßes Abhaken biographischer Stationen, in dem es nicht nur um den Versuch einer Hauptdarstellerin geht, dem Subjekt, in diesem Fall der österreichischen Malerin Maria Lassnig, äußerlich zu ähneln, sondern ihr Inneres zu erspüren. Viel hat sich Anja Salomonowitz mit ihrem Film „Mit einem Tiger schlafen“ vorgenommen, nicht alles gelingt, doch das Ergebnis ist in jedem Fall speziell, besonders und sehenswert.

Österreich 2024
Regie & Buch: Anja Salomonowitz
Darsteller: Birgit Minichmair, Johanna Orsini, Oskar Haag, Lukas Watzl, Carl Achleitner

Länge: 107 Minuten
Verleih: Arsenal
Kinostart: 23. Mai 2024

FILMKRITIK:

Wie so viele Frauen der Geschichte stand sie meist im Schatten der Männer, wurde nicht für sich betrachtet, sondern oft nur als Anhängsel, als Ergänzung männlicher Künstler: Maria Lassnig, geboren 1919 in Kärnten, gestorben 2014 in Wien, vor allem Malerin, aber auch Medienkünstlerin, Professorin und vor allem Frau.

Lange musste Lassnig um Anerkennung kämpfen, wurde schlechter bezahlt als männliche Kollegen, doch mit der Zeit kam der Erfolg, bei der documenta wurden ihre Werke ausgestellt, sind inzwischen Teil der Sammlungen wichtiger Museen, vom Museum of Modern Art in New York bis zur Neuen Nationalgalerie in Berlin, längst gilt sie als eine der bedeutendsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts.

Einen biographischen Film über Lassnig zu drehen liegt auf der Hand, Porträts bekannter, berühmter Menschen erfreuen sich stets großer Beliebtheit, sind ein dankbares Sujet: Als Nebenfiguren tauchen oft weitere Berühmtheiten auf, wichtige Momente der Zeit- und Kulturgeschichte werden gestreift, exotische Locations tun ihr übriges. Meist sind solche biographischen Filme gefällig, oberflächlich interessant und im Kern kaum mehr als visualisierte Wikipedia-Einträge.

Nach wenigen Momenten von „Mit einem Tiger schlafen“ wird deutlich, dass Anja Salomonowitz Anderes, Ambitionierteres im Sinn hat. Da sieht man Birgit Minichmair als Maria Lassnig, allerdings als das Kind Maria Lassnig, die am Tisch mit ihrer Mutter (Johanna Orsini) sitzt und sie zeichnet, Lob bekommt, aber auch Kritik. Und so wird es weitergehen in den Jahrzehnten von Lassnigs Leben, ein ständiger Kampf zwischen Anerkennung und Kritik, nicht zuletzt Selbstkritik und Selbstzweifel, auch wenn sie schon international erfolgreiche Künstlerin ist, die eigentlich zufrieden sein könnte.

Vor allem aber geht es stilistisch so weiter: Dass Brigit Minichmair wandlungsfähig ist, dürfte bekannt sein, hier spielt sie allerdings eine Frau in allen Stadien ihres Lebens, von der Wiege bis zur Bahre sozusagen. Eine äußere Visualisierung von Lassnigs innerem Wesen wenn man so will, denn diese wurde als weise vor ihrer Zeit beschrieben, später dann jung geblieben im zunehmend alternden Körper. In gewisser Wiese also konsequent, nicht drei, vier Schauspielerinnen die verschiedenen Lebensstadien eines Menschen spielen zu lassen, sondern eine alle. Ein Ansatz, der an unkonventionelle Methoden anderen biographischer Film erinnert, etwa an das Dylan-Biopic „I’m not there“, wo diverse Akteure den Barden spielten oder auch an den Anfang des Jahres im Kino zu sehenden „Munch“, wo Ähnliches versucht wurde. Am deutlichsten ähnelt der Ansatz aber dem Celine Dion-Film „Aline“, in dem Valérie Lemercier die Sängerin in allen Lebensphasen spielte, allerdings per Computertricks auf die „richtige“ Größe geschrumpft.

Allen genannten Filmen und nun auch „Mit einem Tiger schlafen“ ist gleich, dass sie ihre Subjekte als zerrissene Menschen zeigen, als widersprüchliche Personen, die nur schwer zu fassen sind. Aber wie könnte es anders sein, gerade bei einer Künstlerin wie Maria Lassnig. Dass am Ende des Films viele Fragen offen bleiben kann keine Kritik sein, im Gegenteil. Episodisch umkreist Salomonowitz das Leben Lassnigs, zeigt Arbeitsprozesse, schneidet dokumentarische Bilder ein, auch immer wieder das Werk Lassnigs, das oft unmittelbar mit den inszenierten Bildern korrespondiert. Ein collagenhaftes Bild entsteht, das auf ambitionierte Weise versucht, der Vielfalt des Werks Lassnings eine filmische Entsprechung zu geben.

 

Michael Meyns