Mit Liebe und Entschlossenheit

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Juliette Binoche hat zuletzt einige Male für Claire Denis vor der Kamera gestanden, 2018 im Film „High Life“, aber auch 2017 in „Meine schöne innere Sonne“, an dem wie jetzt erneut Christine Angot am Drehbuch mitgewirkt hat. Es geht um eine Frau in ihren mittleren Jahren, die sich in einer Dreiecksbeziehung zu verlieren droht, mehr als es ihrem scheinbar stabilen Leben guttut. Sowohl Binoche wie auch ihr Filmpartner Vincent Lindon bringen ihre Gemütsschwankungen dabei großartig und glaubhaft rüber. Zum Standard gehört bei Claire Denis aber auch die wieder einmal starke musikalische Untermalung von Stuart A. Staples und der britischen Band Tindersticks.

Avec amour et acharnement
Frankreich 2022
Regie: Claire Denis
Mit: Juliette Binoche, Vincent Lindon, Grégoire Colin, Bulle Ogier

Länge: 116 Minuten
Verleih: Arsenal Filmverleih
Kinostart: 19.1.2023

FILMKRITIK:

Urlaub am Meer. Sara (Juliette Binoche) und ihr Lebensabschnittsgefährte Jean (Vincent Lindon) fühlen sich frei und glücklich, wie zwei Delphine schwimmen sie nebeneinander her. Nach ihrer Rückkehr ins Pariser Stadtleben kehrt die Alltagsroutine zurück, eine Zäsur ergibt sich, als Sara im Gewimmel einer Metrostation zufällig einen längere Zeit nicht gesehenen Freund entdeckt. Dieser Moment trifft sie wie ein Blitzschlag. Zufällig erzählt ihr Jean, dass just dieser Freund ihm die Partnerschaft in einer Agentur zur Vermittlung junger Rugby-Talente angeboten hat. Eine Begegnung von Sara mit François (Grégoire Colin), über den sie vor mehr als zehn Jahren Jean überhaupt erst kennengelernt hatte, bleibt nicht aus. Und dieses Wiedersehen sorgt in der Folge dafür, dass nicht nur für Sara eine Achterbahnfahrt der Emotionen beginnt und sie sich entscheiden muss, mit welchem der beiden Männer, denen sie sich auf doch recht unterschiedliche Weise in Liebe verbunden fühlt, sie zusammenleben möchte.

Die Geschichte, die Claire Denis in ihrem jüngsten, 2022 bei den Filmfestspielen in Berlin mit dem Silbernen Bären ausgezeichneten und im Herbst dann auch bei den Französischen Filmtagen in Tübingen/Stuttgart vorgestellten Werk verhandelt, ist im Grundsatz keine neue. Doch erzählt und vor allem gespielt ist sie mit einer Intensität, wie man sie auf der Leinwand nur selten zu sehen bekommt. Was Sara fühlt, das meint man als Zuschauender förmlich selber zu spüren. „C’est repartie“, sagt Sara über die Rückkehr schlafloser Nächte und über ihr inneres Aufgewühltsein, welches sie manchmal wie unter einer Trance erscheinen lässt. Auch Lindon ist in seinen Reaktionen und in seiner Haltung wahrhaftig, gestresst zudem durch im Nebenplot verhandelte Probleme mit seinem jugendlichen Sohn, um den zu kümmern sich dessen Großmutter (Bulle Ogier) jedoch überfordert fühlt. Denis legt dabei immer wieder auch die Mechanismen gesellschaftlicher Rollenbilder offen, die zum Beispiel die Frau als ohnmächtig und bevormundet charakterisieren, ohne dass es den Männern des Films in irgendeiner Art und Weise bewusst wäre und dazu führt, dass beide Männer auf jeweils ihre Art und Weise Druck auf die von ihnen begehrte Frau ausüben. Nach und nach einstreute Hinweise auf die Vorgeschichte der beiden Männer helfen dabei, die Figuren in ihrem Verhalten besser zu verstehen.

Claire Denis und ihre Co-Autorin Christine Angot haben schon 2017 beim Spielfilm „Meine schöne innere Sonne“, in dem es um Roland Barthes Buch „Fragmente einer Sprache der Liebe“ ging, zusammengearbeitet. Diesmal gab Angots Roman „Un tournant de la vie“ den Anstoß für dieses seinen Figuren immer wieder auch in Nahaufnahmen auf den Leib rückendes Liebesdrama. Ein Drama, dass sich bekannten Erzählmustern jedoch entzieht und mit der menschlichen Psyche zu spielen weiß.

Interessant auch zu beobachten, wie und wann pandemiebedingt Masken getragen werden, wie Küsschen links und rechts selbst bei Begegnungen mit sehr vertrauten Menschen unterbleiben und zu Distanz führen. Weitere gesellschaftliche Aktualität liefern Interviews von Sara als Radiojournalistin mit der libanesischen Verlegerin Hind Darwish zum Thema Flucht und Immigration oder Aussagen über die von Ex-Fußballstar Lilian Thuram in seinem 2021 erschienenen Buch „Das weiße Denken“ geäußerten Gedanken zu Rassismus und der Rolle der Hautfarbe als psychologischem Problem. Nicht unwesentlich ist auch die Rolle, die einmal mehr die britische Band Tindersticks - seit „Nénette et Boni“ sind sie bei Claire Denis gesetzt – spielt. Ihr hypnotischer Score mit oft düsteren Streichern, die in ihrer Schwere an die Auftragsarbeit „Ypres“ (2014) erinnern, verstärkt die bewegten Gefühle von glücklichen Zeiten am Meer bis hin zu aufbrausenden Streitigkeiten in Paris aufs Intensivste.

 

Thomas Volkmann