Mit Siebzehn

Zum Vergrößern klicken

„Mit 17 hat man noch Träume“ trällerte ein populärer Schlager in den 60er Jahren. Nicht ganz so traumhaft läuft es bei den beiden Teenagern im neuen Film von André Téchiné. Die zwei Jungs verprügeln sich in der Schule bei jeder Gelegenheit. Warum, das wissen sie selbst nicht so genau. Als die Mutter den Rivalen ihres Sohnes vorübergehend in ihrer Wohnung einquartiert, droht ein Fiasko. Doch die Zeiten ändern sich. Aus den erbitterten Feinden werden Freunde - und mehr! Mit faszinierender Leichtigkeit inszeniert der französische Altmeister sein Jugenddrama. Psychologisch präzise, visuell virtuos, atmosphärisch dicht sowie sehr überzeugend gespielt. Höchste Zeit, dass dieser Berlinale-Liebling endlich auf die hiesigen Leinwände kommt.

Webseite: www.koolfilm.de

Frankreich 2016
Regie: André Téchiné
Darsteller: Corentin Fila, Sandrine Kiberlain, Kacey Mottet Klein, Alexis Loret, Jean Fornerod
Filmlänge: 116 Minuten
Verleih: Kool Filmdistribution
Kinostart: 16.3.2017

FILMKRITIK:

Beim Sportunterricht sind sie wieder einmal die letzten, die von ihren Mitschülern in die Mannschaft gewählt werden. Damit enden die Gemeinsamkeiten zwischen Damien und Thomas allerdings auch schon. Wie wenig die zwei Jungs sich leiden könnten, zeigt sich an den ständigen Prügeleien, die sich liefern. Woher diese chronische Antipathie rührt, wissen beide nicht. Die Spannungen steigen, als Damiens Mutter, eine überaus hilfsbereite Ärztin, auf die Idee kommt, den Rivalen ihres Sohnes für einige Zeit in der Wohnung aufzunehmen Damit würde Thomas der lange Weg in die Schule erspart, er könnte mehr lernen und die bedrohte Versetzung schaffen. Die Teenager reagieren gleichermaßen widerwillig auf diesen Plan. Trotz der verordneten Harmonie im trauten Heim gehen die Rempeleien prompt weiter. Nun finden die Kämpfe mit Verabredung statt, auf einer Bergwiese fliegen die Fäuste. In einer Zwangspause wegen strömenden Regens teilt man sich beim Unterstehen allerdings friedlichen einen Joint und plaudert.
 
Hinter der ruppigen Fassade der Feindseeligkeit scheint langsam etwas wie Sympathie aufzuflackern. Insbesondere Damien wirkt auffallend verunsichert. Seine zur Schau gestellte Abneigung weicht heimlicher Faszination für den Gegenspieler. Als er schließlich mit spontanem Mut seine wahren Gefühle offenbart, reagiert Thomas panisch mit aggressiver Ablehnung. Damit ist das Ende für das Duo eigentlich besiegelt. Erst ein dramatischer Schicksalsschlag wird die verklemmten, emotionalen Karten neu mischen.
 
Die Story selbst mag an eine schlichte Seifenoper erinnern. Die Umsetzung ist jedoch weit davon entfernt. Gleich mit der ersten Einstellung trifft Téchiné in seinem Coming-of-Age-Drama mit traumwandlerischer Sicherheit den richtigen Ton von unaufgeregter Authentizität. Die zwei Außenseiter warten im Sportunterricht darauf, von den Mitschülern in ein Team gewählt zu werden. Beide bleiben wieder einmal übrig bis zum Schluss. Für diese klassische Frust-Situation, bestens bekannt aus dem realen Leben, genügt Téchiné ein kleiner Federstrich und das Bild ist klar. Ähnlich beiläufig präsentiert er die anderen Mosaiksteine seiner Teenager-Psychogramme. Damien, der den häufig abwesenden Vater vermisst, tobt sich beim Boxtraining aus. Der verschlossene Thomas findet sein Vergnügen bei der Arbeit im heimischen Bauernhof oder dem nächtlichen Bad im eiskalten Bergsee. Die Natur-Kulisse dient immer wieder als unaufdringliches Stimmungsbarometer. Mühsam wird der Weg durch den Schnee gebahnt. Ein überraschender Regenguss beendet den verbissenen Boxkampf der Teenies. Existenzielle Gespräche über Trauer und Verlust werden durch plötzlichen Nebel verhüllt.
 
So federleicht die Inszenierung des französischen Autorenfilmers, so unangestrengt geben sich seine jungen Darsteller. Kacey Mottet Klein (als Kind der junge Dieb in „Winterdieb“) überzeugt als sensibler Teenager im Gefühlschaos. Newcomer Corentin Fila zeigt als harter Typen mit weichem Kern, dass mehr in ihm steckt als der hübsche Model-Typ. Diesem leinwandpräsenten Duo glaubt man alle Nuancen ihres „Denn-sie-wissen-nicht-so-ganz-was-sie-tun“-Verhaltens. Last not least präsentiert Sandrine Kiberlain eine eindrucksvolle Leistung als stets optimistische Ärztin und Mutter, die nach einem schweren Schicksalsschlag dann doch fast zerbricht.
 
Auf der Berlinale ging dieses formvollendete, unprätentiös vibrierende „Coming-of-Age“-Drama trotz Favoriten-Status leer aus. Bei den „Französischen Filmtagen Tübingen“ holte die Schüler-Jury das Siegertreppchen nach: „Der Film ging uns ins Herz und hat ein paar von uns auch zu Tränen gerührt“, heißt es in der Begründung. Ein besseres Kompliment der Zielgruppe kann es kaum geben!
 
Dieter Oßwald