Miyama, Kyoto Prefecture

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Uwe Walter ist gebürtiger Gelsenkirchener, doch sein Alltag könnte sich vom Leben im Ruhrgebiet nicht deutlicher unterscheiden. Statt Multikulti, Zechen und dem typischen Ruhrpott-Charme bestimmen Entschleunigung, Flötenklänge und die berauschende Natur eines in der Nähe von Kyoto liegenden Bergdorfes sein Dasein. Die mit atmosphärischem Feinsinn umgesetzte, detailliert beobachtete Doku „Miyama, Kyoto Prefecture“ porträtiert Walter und das Leben seiner Gemeinschaft in dieser isolierten, abgelegenen Region.

Deutschland Japan 2021/2022 Dokumentarfilm
Regie: Rainer Komers
Drehbuch: Gregor Bartsch

Länge: 97 Minuten
Verleih: Real Fiction

FILMKRITIK:

Seit vielen Jahren lebt der Künstler Uwe Walter in Miyama, einem etwa 30 Kilometer von Kyoto entfernt liegenden Dorf. Dort haust er mit seiner Frau Mitsuyo in einfachen Verhältnissen in einem Waldgebiet, abseits vom Trubel der großen Metropolen. Walter, der ursprünglich aus Gelsenkirchen stammt, ist Selbstversorger, züchtet Tiere und baut seinen eigenen Reis an. Er ist eins mit dem Leben auf dem Land geworden – und mit der japanischen Kultur. Dazu gehört das Spielen auf der Shakuhachi-Flöte, einer aus Bambus gefertigten, alten japanischen Flöte. „Miyama, Kyoto Prefecture“ entführt in die mystische Bergwelt Miyamas und begleitet Walter in seinem Alltag.

Uwe Walter, der Protagonist dieser ungemein naturalistischen Dokumentation, ist ein außergewöhnlicher Charakter. Er ist nicht nur ein ausgezeichneter Shakuhachi-Flötist und Musiker, ebenso ist der studierte Cellist dem Schauspiel und Tanz eng verbunden. All jene Disziplinen vereint das Noh-Theater, eine besondere Form der japanischen Theaterkunst, die seit dem 14. Jahrhundert eng mit der Kultur des Landes verflochten ist. Walter, der seit 30 Jahren in Japan lebt, beherrscht dieses Theaterspiel. Und: Er ist längst fest in den Alltag der kleinen Bergdorf-Gemeinde integriert.

Eine Gemeinschaft, die im ständigen Austausch miteinander steht. Denn schließlich steht im Dorf bald ein Festival an, in dem die Shakuhachi und das traditionsreiche Noh-Spiel eine wichtige Rolle spielen werden. Außerdem unterstützen sich die Bewohner gegenseitig und man hilft, wenn es nötig ist. Einen Großteil all dieser Vorkommnisse sowie Informationen gewährt der aufmerksame Regisseur Rainer Komers nicht einfach nur über Text-Einblendungen oder Erläuterungen aus dem Off (auf einen Off-Kommentar verzichtet er komplett). Sondern durch das exakte, stille und Distanz wahrende Beobachten der Ereignisse und Gegebenheiten vor Ort.

Wir sehen spielende Kinder, Walter und die Bewohner beim Musizieren, beim gemeinsamen Diskutieren und bei der täglichen, harten Arbeit, die aber etwas zutiefst Meditatives zu haben scheint. Darüber hinaus erhält der Kinobesucher Einblicke in die örtlichen Schulen und den Unterricht. Es sind scheinbar unspektakuläre Aufnahmen immer wiederkehrender Tätigkeiten und Abläufe, die aber eines verdeutlichen: jene täglichen Routinen und festen Strukturen bringen etwas ungemein Beruhigendes und Heilsames mit sich. Komers zeigt Walter und einige der anderen Einwohner Miyamas bei der Gartenarbeit, beim Jagen, dem Reparieren von Zäunen oder Baumfällen – oft aus „sicherer Entfernung“ und in minutenlangen, fast kontemplativ wirkenden Szenen und Einstellungen.

Diese gedankenverlorene, melancholische Aura umweht „Miyama, Kyoto Prefecture“ immer wieder – zumal es auch um Themen wie Spiritualität, Glaube, Tod, Vergänglichkeit und Abschied geht. So muss sich Walter im Laufe des Films etwa von einigen Habseligkeiten, Gegenständen und damit einem Teil seiner Vergangenheit trennen. Letztlich aber im Interesse der Dorfgemeinschaft und damit im Sinne aller.

„Miyama, Kyoto Prefecture“ kommt ohne einen klassischen Score aus, vielmehr sind es die Geräusche der umgebenden Natur oder der angenehm warme Klang der Shakuhachi-Flöte, die die Momentaufnahmen untermalen. Voller Neugierde und Bewunderung fängt die Doku zudem die Schönheit der Region und der umliegenden Landschaften ein. Die malerischen Naturimpressionen passen sich der stimmungsvollen, besonnenen Wirkung des Films wunderbar an.

 

Björn Schneider