Moffie

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Tiefwurzelnde Homophobie ist nur einer von vielen Aspekten des südafrikanischen Apartheid-Regimes, die Oliver Hermanus in der Adaption des gleichnamigen Romans von André Carl aufarbeitet. Erzählt wird nämlich auch von kollektiven Feindbildern, brutaler Diskriminierung und toxischer Männlichkeit. Sein Film über einen schwulen jungen Mann, der in den 80er Jahren den Militärdienst antreten muss und dem spartanischen Drill des Ausbildungscamps unterworfen wird, ist von seltener, virtuoser Präzision.

Website: https://salzgeber.de/moffie

Südafrika, Großbritannien 2019
Laufzeit: 108 Min.
Regie: Oliver Hermanus
Darsteller: Kai Luke Brummer, Ryan De Villiers, Ludwig Baxter, Matt Ashwell u.a.
Verleih: Salzgeber Edition

FILMKRITIK:

„Moffie“: das heißt in Afrikaans „Schwuchtel“. Es ist ein Schimpfwort, das häufiger fallen wird. Die, die es bezeichnet, sind nur einige wenige von vielen Projektionsflächen, auf die sich der diffuse Hass der Gemeinschaft konzentriert. In einer eindrücklichen Szene – dieses an eindrücklichen Szenen nicht gerade armen Films – werden zwei junge, zerschundene Soldaten der Kompanie vorgeführt. Ihr Vergehen: „Animalismus“. Sie wurden ertappt bei unzüchtigen Handlungen, die sie heimlich auf der Toilette austauschten. Geschlossen ruft die Kompanie auf Geheiß des Sergeant „Moffie, Moffie, Moffie“ und urteilt die sogenannten Delinquenten öffentlich ab. Nick (Kai Luke Brummer), unser Protagonist, ist keiner von ihnen. Er steht unter den Rufenden. Sein Blick heftet sich dabei ins Leere. Er ist zwar keiner der zwei Unglückseligen, doch könnte er genauso gut an ihrer Stelle stehen.

Geduldig erträgt Nick die Schikanen, denen seine Kameraden und er Tag für Tag ausgesetzt sind, erträgt die Schimpf und Schande des Sergeant, erträgt die endlosen Märsche und den unermesslichen psychischen Druck. Teilweise erinnert das in seiner Intensität an Stanley Kubricks Antikriegs-Manifest „Full Metal Jacket“. Denn auch hier wird den Individuen das Individuelle ausgetrieben. Absolute Angleichung – die Verschmelzung zur homogenen Kampf-Masse – ist das gesetzte Ziel. Auch in den Schlafquartieren regiert der ruppige Ton des Rudels, das alles Schwächliche ausgrenzt und dezimiert. In diesem Auflauf kruder Geselligkeit werden allerdings auch unterschwellige Zärtlichkeiten ausgetauscht. Neben der Brutalität des Ausbildungsalltags lauert die latente Homoerotik, die Regisseur Oliver Hermanus in ihrer ganzen Ambivalenz sehr genau auszuleuchten versteht. Die schönen und starken Körper von Nicks Kameraden setzt er nicht nur sehr ästhetisch in Szene, sondern lässt darin auch die permanente Bedrohlichkeit mitschwingen, die von ihnen ausgeht. Hier lebt und leidet Nick, in seine Uniform gezwängt und von Männerscharen umgeben, die er begehrt, aber nicht begehren darf. Kai Luke Brummer transportiert die schwer unterdrückbare Faszination und den Reiz des Verbotenen in seinen ständig ausweichenden Blicken und scheuen Gesten. Die Gefahr, sein Gegenüber einmal zu lange anzusehen oder einmal zu zweideutig zu berühren, bleibt immer präsent und greifbar. Ein Kindheitstrauma Nick Lehre genug. Denn als Vorpubertierender wurde er beim Gaffen im Schwimmbad erwischt, was für einen peinlichen und hochunangenehmen Eklat sorgte.

Schließlich droht sich die erotische Suspense, die von der Allgegenwart ebendieser Reize erzeugt wird, in einer langen Nacht während einer jener unerbittlichen Trainingseinheiten zu entladen. Die angehenden Soldaten müssen Schützengräben ausheben und bei dem aufkommenden Unwetter darin schlafen. Der vom Regen völlig durchnässte Nick wird von dem anderen Rekrut Dylan (Ryan De Villiers) in dessen Grube geholt. Zwar passiert nicht viel, doch schon das tröstliche Aneinanderschmiegen löst in Nick eine vage Hoffnung aus. Und ebendiese Hoffnung wandelt sich bald in ernstzunehmende Gefühle, die ihn und Dylan, der seinerseits Andeutungen gegenüber Nick unternimmt, in eine reelle Gefahr bringt. Doch Dylan ist auch ein Quergänger, der sich immer wieder mit dem Sergeant anlegt. Bis er es eines Tages zu weit treibt…

Nur indirekt widmet sich Hermanus den Verbrechen, die das Apartheid-Regime an der farbigen Bevölkerung ausübte. Man könnte fast sagen, dass sein Zugang universeller ist, denn vorrangig werden die (a)sozialen Mechanismen von Maskulinität erkundet. Sie manifestieren sich im Zirkel der Gewalt, den dauernden Stellvertreter-Machtkämpfen, die sowohl auf wie auch unter der Oberfläche ausgetragen werden. Fokussiert werden also vielmehr die Verletzungen, die Männer aneinander und an sich selbst anrichten. Die subtile Poesie der Bilder steht dabei oft in völligem Kontrast zur Rohheit des Dargestellten, nämlich einer ewig an sich selbst scheiternden männlichen Selbstbehauptung. Sie zeigt sich in der Unterdrückung weichlicher Gefühle und der Degradierung der schwächsten Glieder in der Kette, wodurch sie sich im Grunde fortlaufend selbst als schwach entlarvt. Wie Hermanus diese teils wirklich zermürbende Studie und das permanente Kräftemessen mit sehr zarten Untertönen durchwebt, ist ganz große Kunst! „Moffie“ ist ein wichtiges und gleichermaßen faszinierendes wie komplexes Meisterwerk des queeren Kinos, das sich tief und nachwirkend ins Gedächtnis einschreibt.

Nathanael Brohammer