More than Strangers

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Patrick soll ein Auto von Berlin nach Paris überführen, und hat dafür eine, wie er findet, ausgezeichnete Idee: Er packt sich den Wagen voller Leute, die eine Mitfahrgelegenheit nach Paris suchen. So hat er Gesellschaft auf der langen Fahrt und kann sich noch ein paar Euro nebenher verdienen. Was soll schon schiefgehen? Natürlich alles, denn Sylvie Michels „More than Strangers“ ist nicht nur ein (wortwörtlich) grenzüberschreitendes Drama, sondern auch eine Komödie, in der eine zufällig zusammengewürfelte Gruppe von Reisenden an der eigenen Hilfsbereitschaft scheitert.

Webseite: https://www.wfilm.de/more-than-strangers/

Deutschland, Griechenland 2023
Regie: Sylvie Michel
Drehbuch: Sylvie Michel, Maria Teresa Curzio
Darsteller: Cyril Gueï, Léo Daudin, Smaragda Karydi, Julie Kieffer, Samuel Schneider, Wolfram Koch, Samuel Finzi, Jacqueline Macaulay, Mehdi Nebbou
Kamera: Patrick Orth
Musik: Konstantis Papakostantinou

Länge 100 Minuten
Start: 22. August 2024

FILMKRITIK:

Wer schon einmal beim Car-Sharing mit ein paar wildfremden Leuten im Auto gesessen hat, weiß: Je länger die Reise dauert, desto fragiler wird das seelische Gleichgewicht der Mitreisenden. Die Insassen des Wagens, den der Franzose Patrick von Berlin nach Paris überführen soll, bilden da keine Ausnahme. Und dank eines Mitfahrers dauert die Reise nicht nur deutlich länger als geplant, er spaltet die Fahrgemeinschaft geradezu. Denn als die Reisegruppe erfährt, dass einer der Mitfahrer als „Illegaler“, also ohne Aufenthaltsgenehmigung, unterwegs ist, müssen sie sich entscheiden, ob sie ihn weiter mitnehmen oder am Straßenrand zurücklassen. Diese Entscheidung überfordert sowohl die Gruppe als auch jedes einzelne Mitglied, denn die übrigen Mitreisenden haben ebenfalls das eine oder andere Problem im Reisegepäck.

Regisseurin und Drehbuchautorin Sylvie Michel hätte diese Geschichte als bierernstes Drama erzählen können. Dankenswerterweise hat sie sich anders entschieden und die Komik neben die Tragik gestellt. Geschickt lässt Sylvie Michel ihr Road Movie zwischen Drama und Komödie changieren, indem sie die Absurdität der Situation herausstellt: Ein Mitreisender hat ein existenzielles Problem, weil ihm ein vergleichsweise kleines Stück Papier – ein gültiges Visum – fehlt, während die anderen Mitreisenden – dank ihrer Pässe – ihre zahlreichen, im Vergleich jedoch nichtigen Probleme ausleben können, was sie auch weidlich ausnutzen.

Sylvie Michel entwirft hier ein aktuelles und erfreulich boshaftes Bild vom heutigen Europa, wo jede einzelne Person zunächst einmal mit sich selbst beschäftigt ist. Menschen, die „von außen“ dazu kommen, werden danach beurteilt, ob sie Probleme machen oder nicht. Und mit Problemen möchte man natürlich möglichst nichts zu tun haben … Man hat ja mit sich selbst schon genug zu tun.

Fünf Personen, die auf engstem Raum wider Willen zu einer Schicksalsgemeinschaft werden – das ist natürlich auch allerbestes Schauspielerfutter. Hier wird den Darstellerinnen und Darstellern die Gelegenheit geboten, mal so richtig ihr Talent funkeln zu lassen. Dabei ist – nicht nur wegen des schönen Namens – vor allem Smaragda Karydi zu nennen, die aus ihrer Rolle als beziehungsmüde Bürgergattin, durchgestylt und mit stets perfektem MakeUp, ein komisches Highlight macht.

In 100 kurzweiligen Kino-Minuten entwickelt Sylvie Michel aus dieser Reise ein erfreulich erfrischendes Road Movie, gefilmt auf engstem Raum, in dem sie geschickt vermeidet, ein plattes, symbolistisches oder wie auch immer modisch aufgepepptes Plädoyer für Solidarität zu entwerfen. Stattdessen erzählt sie eine warmherzige Geschichte über fünf Fremde, die sich zuerst in der Enge eines Autos begegnen, bevor sie sich tatsächlich nahekommen und beginnen, einander zu verstehen.

 

Gaby Sikorski