Mr. Long

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Der japanische Schauspieler und Regisseur SABU ist seit seinem 1996 im Berlinale-Forum aufgeführten Kinodebüt „Dangan Runner“ einer der Stammgäste des Festivals. Von seinen bislang 15 Filmen waren 9 in Berlin vertreten, bei der 67. Berlinale lief sein neustes Werk „Mr. Long“ im Wettbewerb, wo 2015 mit „Chasuke's Journey“ sein „Der Himmel über Berlin“ auf Speed zu sehen war. Die wilde Mischung der Kinogenres ist das wohl prägnanteste Stilmittel SABUS, ebenso die vertrackte Erzählweise und die dynamische Kameraführung. Da fügt sich auch „Mr. Long“ ein, in dem ein Auftragskiller eine Suppenküche betreibt.

Webseite: rapideyemovies.de

OT: Ryu san
Japan, Hongkong, Taiwan 2017
Regie & Drehbuch: SABU
Darsteller: Chen Chang, Shô Aoyagi, Yiti Yao, Runyin Bai, Masashi Arifuku, Taro Suwa, Ritsuko Okusa, Shiiko Utagawa, Yusuke Fukuchi, Tetsuya Chiba
Laufzeit: 129 Min.
Verleih: Rapid Eye Movies
Kinostart: 14. September 2017

FILMKRITIK:

Long (Chen Chang) ist Profikiller. In der ersten Szene pirscht er sich im Dunkel eines Tempelkellers an fünf Gangster heran und metzelt die Männer im Handumdrehen nieder. Mit seiner Lieblingswaffe, einem Klappmesser. Kehlen werden aufgeschlitzt, Brustkörbe durchrammt, Blut spritzt aus den Opfern. Der nächste Auftrag führt Long nach Tokio, doch diesmal vermasselt er den Job. Nur durch Zufall kann er sich verletzt und mittellos in eine triste Wellblechsiedlung schleppen, wo Junkies, Prostituierte, Obdachlose hausen.
 
Ab hier macht der Tonfall eine Kehrtwende. Was zuvor eine brutale, überstilisierte Killerballade war, mausert sich zum humanistischen (Familien-)Drama. Der Junge Jun (Runyin Bai) versorgt Long mit Gemüse. Long, der Hobbykoch, improvisiert: Ein Topf liegt im Müll, Metallstücke avancieren zu Kochutensilien, fließendes Wasser wird gefunden. Sein Nudelsüppchen schmeckt den Anwohnern so gut, dass sie ihm einen mobilen Imbiss schenken, mit dem Long seine Suppe fortan vor einem buddhistischen Tempel anbietet. Über Jun lernt er dessen allein erziehende Mutter Lily (Yiti Yao) kennen, eine Prostituierte, deren Heroinsucht er mit einem kalten Zwangsentzug therapiert.
 
Ein Gutteil der Faszination von „Mr. Long“ geht von der charismatischen Präsenz des Hauptdarstellers Chen Chang aus, der den gewandten, sehr schweigsamen Killer und Koch verkörpert. Der 1976 in Taiwan geborene Mime wurde 1990 von Regisseur Edward Yang für „Ein Sommer zum Verlieben“ entdeckt und ist Kennern des asiatischen Kinos seither kein Unbekannter, spielte er doch in Filmen wie „Happy Together“, „Tiger & Dragon“, „Breath“, „Red Cliff“ und zuletzt „The Assassin“ für renommierte Autorenfilmer wie Wong Kar-wai, Ang Lee, Kim Ki-duk, John Woo und Hou Hsiao-hsien. Der neue SABU ist nun ganz auf Chang zugeschnitten, ja, der japanische Autorenfilmer nennt ihn sogar als Inspiration für den Film.
 
SABU mixt schon seit „Dangan Runner“, der Tom Tykwer auf die Idee zu „Lola rennt“ brachte, munter die Genres und Stimmungen. Action, Spannung und derbe Gewalt, Slapstick, Drama und blanker Irrsinn gehen bei ihm Hand in Hand. Dass seine Filme nicht in alle Einzelteile zerfallen, liegt an der klaren Erzähllogik, mit der er seine Plots konstruiert. Allen Stilbrüchen und Ellipsen zum Trotz wirken die Handlungsbögen in sich stimmig. Ironischerweise spielt in den eigenwillig konstruierten Geschichten der Zufall eine wiederkehrende Rolle, so auch in „Mr. Long“, wenn sich der Killer nach dem verpatzten Anschlag nur zufällig auf die Laderampe eines Lasters retten kann.
 
Der Bruch von Inhalt und Form wirkt harmonisch, weil sich SABU auf das jeweilige Hier und Jetzt konzentriert. Bei den sozialen Interaktionen des Killers entsteht viel Situationskomik, wenn die aufgekratzte Fröhlichkeit der Nachbarn auf seine einsilbige Coolness trifft. Hinzu kommt die Sprachverwirrung: Long versteht kein Japanisch, die Japaner kein Taiwanesisch, man redet mit Händen und Füßen. Trotzdem stehen die Leute füreinander ein, der Film geht nach dem Actionauftakt als Tragikomödie weiter, bis die Vergangenheit Long – natürlich – einholt.
 
Allerdings passen nicht immer alle Puzzleteile zusammen, es gibt auch schroffe Bruchstellen. Eine lange Rückblende zu Lilys tragischer Vergangenheit steht isoliert auf weiter Flur, genauso eine Szene, in der Long, Jun und Lily einen Ausflug unternehmen. SABU zielt mit den Kontrasten auf starke Affekte ab, wenn etwa auf einen Glücksmoment eine Vergewaltigung folgt. Als der Plot zwischenzeitig zum Feelgood-Sozialdrama avanciert, greifen nicht alle Zahnrädchen von „Mr. Long“ ineinander.
 
Was „Mr. Long“ zu einem wild-unterhaltsamen Film macht, ist der typische SABU-Touch. Der Japaner inszeniert mitreißende Martial-Arts-Action, setzt die Musik eigensinnig ein und schlägt viele Haken. Die Bilder rücken aus einer entfernten Beobachterposition heraus die Bewegung im Raum in den Vordergrund und knallen dem Zuschauer eine satte, stilvoll abgestimmte Farbpalette auf die Augen. Kochen, schweigen, morden, das kann Long – und SABU kann überraschen, unterhalten, überwältigen. Die Extravaganz des asiatischen Kinos, der Fokus auf das Bildliche und Filmische, all das bietet „Mr. Long“ in Reinform.
 
Christian Horn