My Days Of Mercy

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Ende 2018 wurde die Todesstrafe offiziell aus der hessischen Verfassung gestrichen, wobei eine tatsächliche Verurteilung zum Tod im heutigen Deutschland ohnehin kaum denkbar scheint. Anders stehen die Dinge bekanntermaßen in den USA, wo die Gesetzeslage in rund der Hälfte der Bundesstaaten nach wie vor Hinrichtungen vorsieht. Die israelische Regisseurin Tali Shalom-Ezer („Princess“) kombiniert die grundlegende Debatte um die Todesverurteilungen in ihrem Drama „Mercy“ mit einer lesbischen Liebesgeschichte, bei der die von Ellen Page („Juno“) und Kate Mara („127 Hours“) famos gespielten Liebenden konträre Standpunkte vertreten. Rund zwei Jahre nach seiner Uraufführung beim Filmfestival in Toronto startet der vielschichtige Film nun in den deutschen Kinos.

Webseite: www.kinostar.com

USA, GB 2017
Regie: Tali Shalom-Ezer
Darsteller/innen: Ellen Page, Kate Mara, Amy Seimetz, Charlie Shotwell, Elias Koteas, Brian Geraghty, Beau Knapp, Tonya Pinkins, Jake Robinson
Laufzeit: 108 Min.
Verleih: Kinostar
Kinostart: 4. Juli 2019

FILMKRITIK:

Die Geschwister Lucy (Ellen Page), Martha (Amy Seimetz) und Ben (Charlie Shotwell) reisen in einem Wohnmobil durch die USA, um in diversen Bundesstaaten an Protesten gegen die Todesstrafe teilzunehmen. Ihre Motivation ist dabei ganz persönlich, denn immerhin wartet der Vater der Geschwister (Elias Koteas) im Gefängnis auf seine Hinrichtung, weil er seine Frau ermordet haben soll. Ein schrecklicher Vorwurf, den die Kinder nicht glauben.
 
Bei einer Demonstration in Kentucky lernt Lucy die junge Anwältin und Polizistentochter Mercy (Kate Mara) kennen. Zwischen den Frauen funkt es auf den ersten Blick, auch wenn sie verschiedene Ansichten vertreten: Während Lucy gegen die Todesstrafe demonstriert, steht Mercy auf der anderen Seite der Absperrung bei den Befürwortern der Verurteilungspraxis.
 
In Zeiten, in denen die eigenen Meinungen und Erfahrungen oft vorschnell zum Maßstab für alle anderen erhoben werden, wirkt die Beziehung der ideologisch ungleichen Frauen Lucy und Mercy angenehm altmodisch. Statt in ihren eigenen Filterblasen vor sich hin zu blubbern, gehen die beiden aufeinander zu und versuchen, die Beweggründe des Gegenübers zu verstehen. Das führt auch zu unangenehmen Situationen, wenn Lucy indirekt ihren verurteilten Vater verrät oder Mercys konservativ-religiöse Familie feststellt, dass Lucy für die andere Seite der Demonstrierenden einsteht.
 
Während Lucys Motiv mit der Situation des Vaters schnell offenkundig wird, ist Mercy von den Ansichten ihrer Familie geprägt. Weil der Polizeikollege des Vaters erschossen wurde, votiert der Mann für die Todesstrafe – und prägt damit auch Mercys Sicht. Ein Clou des Drehbuchs von Joe Barton („The Ritual“) ist es, dass die Schuld oder Unschuld von Lucys Vater nie zweifelsfrei geklärt wird. So wiegt der Film Argumente und Sichtweisen ab, ohne dem Publikum eine bestimmte Lesart aufzudrängen.
 
Tali Shalom-Ezer fügt die verschiedenen Einzelteile des Dramas zu einem stimmigen Ganzen zusammen. Parallel zur Problematisierung der Todesstrafe erblüht die Liebe zwischen Lucy und Mercy in romantischen und erotischen Bildern und Momenten, die einen Kontrast zur nüchternen Darstellung der Protest-Camps bilden und die der Kameramann Radoslaw Ladczuk („Der Babadook“) zwar auf intime, aber nie aufdringliche Weise einfängt. Die knisternde Chemie zwischen Ellen Page und Kate Mara, die beide auch als Produzentinnen in das Projekt involviert waren, verleiht dem Drama eine unmittelbare emotionale Schlüssigkeit.
 
Christian Horn