Die Musikanten sind auf der Leinwand. Auf Freddie, Elton und uns Udo, folgt mit Michael Hutchence nun Sänger und Sex-Symbol der australischen Rockband INXS. Wie „Pavarotti“ kein Biopic, sondern eine Doku mit Aussagen von Zeitgenossen, Konzertausschnitten sowie Bildern vom Familienalbum. Sing keine Opern, möchte man dem Regisseur bisweilen zurufen. Der übertreibt es arg mit Lobhudeleien von Kollegen und Angehörigen - über ein Dutzend Musikvideos, die Lowenstein einst für die Band drehte, trüben nun die dokumentarische Distanz. Andrerseits bekam der Macher dadurch Zugang zu sehr persönlichem Material, Urlaubsfilmchen mit Freundin Kylie Minogue inklusive. Die Überdosis Heiligenschein lässt für Macken des Menschen Hutchence wenig Zeit. Für Fans des charismatischen Rockstars allemal ein Freudenfest.
Webseite: www.24-bilder.de
Australien 2019
Regie: Richard Lowenstein
Darsteller: Michael Hutchence, Kylie Minogue, Paula Yates, Helena Christensen
Filmlänge: 102 Minuten
Verleih: Happy Entertainment
Vertrieb: 24 Bilder
Kinostart: 30.1.2020
FILMKRITIK:
Sex and Drugs and Rock and Roll - der australischen Band INXS gelangen in den 80er und 90er Jahren weltweite Hits von „Never Tear Us Apart“ bis „Mystify“. Frontmann und Komponist Michael Hutchence, Jahrgang 1960, sorgte mit Drogengeschichten und Affären für Schlagzeilen. Der Beziehung mit Pop-Prinzessin Kylie Minogue und Supermodel Helena Christensen folgte die Lovestory mit TV-Moderatorin Paula Yates, der Ehefrau von Bob Geldof. Der folgende Scheidungskrieg geriet für britische Boulevard-Medien zum Freudenfest. Hinter dem öffentlichen Bad Boy-Image steckte privat ein Mensch, der nach einer Kopfverletzung verstärkt unter psychischen Problemen litt. Am 22. November 1997 wurde Hutchence in seinem Hotelzimmer erhängt aufgefunden.
Richard Lowenstein, ein enger Freund des Sängers, der 16 Musikvideos für INXS drehte, hat zehn Jahre an diesem Herzensprojekt gearbeitet. Die ursprüngliche Idee eines fiktionalen Biopics wurde verworfen, unter anderem weil kein geeigneter Darsteller zu finden war. Nun setzt der Australier auf die klassische Doku mit Aussagen von Zeitgenossen, Konzertausschnitten sowie Bildern vom Familienalbum. „Was ist deine größte Angst im Leben?“ fragt gleich zum Auftakt eine Reporterin. „Einsamkeit“ antwortet der Künstler. „Er war kein glücklicher Typ. Die meiste Zeit verbrachte er im Haus“, erzählt der Vater. „Er ist ein Träumer“, heißt es im Zeugnis. Mit solchen Aussagen wird schnell die Skizze eines schüchternen Mensch entworfen.
Das Familienalbum wird aufgeblättert mit alten Kinderfotos. Auch Urlaubsfilmchen des Musikers sind zu sehen. Etwa wenn er im alten Citroen von Sydney nach Melbourne fährt. Oder mit Freundin Kylie Minogue im Orient-Express nach Venedig fährt. Die Pop-Prinzessin schwärmt von ihrer großartigen Beziehung, die ihr eine völlig neue Welt eröffnete. Der Karriere und Konzerte wegen, konnten die Turteltauben ihre Liebesschwüre bald nur noch per Telefax ins jeweilige Luxushotel versenden - getarnt unter den Pseudonymen „Gabby Jones“ und „Swordfish“. Und wenn man sich schließlich trifft, liest er ihr (ach wie süß!) aus seinem Lieblingsbuch „Das Parfüm“ vor.
Im Unterschied zu dem gängigen Talking Heads-Konzept, sind lediglich die Stimmen der Zeitzeugen zu hören, mit Einblendung von Name und Funktion. Deren Aussagen geraten, vor allem in der ersten Hälfte, zu allzu schwärmerischer Lobhudelei und wirken wie hohles Phrasengeschwätz einer PR-Abteilung. Erst in der zweiten Halbzeit wird der brave BRAVO-Starschnitt verlassen, statt Polieren des Heiligenscheins gibt es nun einen Blick auf den Menschen hinter dem Musiker. Besonders tragisch, wie trotzig Hutchence nach einer Kopfverletzung die ärztliche Behandlung verweigert. Die Spätfolgen sind fatal: Verlust des Geruchssinns sowie massive Stimmungsschwankungen.
Für das Porträt eines wilden Rockstars wirkt die Malen-nach-Zahlen-Dramaturgie etwas bieder. Die Konzertausschnitte bleiben überraschend kurz. Die endlosen Lobeshymnen langweilen. Was den Ausnahmekünstler und seine Musik tatsächlich ausmachte, bleibt letztlich so unklar wie das Verhältnis zu seiner Band. Die üppigen Privataufnahmen dürften für Fans freilich zum Freudenfest geraten.
Dieter Oßwald