Napoleon

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Abgesehen von Hitler gibt es kaum einen Staatsmann über den so viele Bücher geschrieben wurden wie über Napoleon Bonaparte, der nach der französischen Revolution zum Führer Frankreichs aufstieg, große militärische Siege verbuchte und katastrophale Niederlagen. Ob es über diesen Herrscher, diesen Diktator im 21. Jahrhundert noch etwas zu sagen gibt ist die Frage, die Ridley Scotts ausuferndes Biopic „Napoleon“ beantworten müsste – was nur bedingt gelingt.

USA/ GB 2023
Regie: Ridley Scott
Buch: David Scarpa
Darsteller: Joaquin Phoenix, Vanessa Kirby, Tahar Rahim, Rupert Everett, Edouard Philipponnat, Catherine Walker, Ludivine Sagnier.

Länge: 158 Minuten
Verleih: SONY
Kinostart: 23. November 2023

FILMKRITIK:

War es eines jener lang gehegten Traumprojekte? Wollte der Engländer Ridley Scott schon seit langem einen Film über den Franzosen Napoleon Bonaparte drehen, gegen den sein Land so viele Schlachten schlug, über den Scotts Idol Stanley Kubrick einen Film drehen wollte, der nicht realisiert werden konnte? Erst die unbegrenzten Geldmittel von Apple erlaubten es Scott nun, seinen „Napoleon“ zu drehen, der nun in einer gekürzten zweieinhalbstündigen Fassung ins Kino kommt, bevor die integrale, vier Stunden lange Version beim Streamer verfügbar sein wird. Eine ungewöhnliche Strategie, die immer daran denken lässt, dass diese Kinoversion eigentlich nicht die richtige, von Scott intendierte Version ist. Vielleicht deswegen wirkt diese Kinoversion bei allen Qualitäten etwas zerfahren und inhaltlich unentschlossen.

Gut 30 Jahre des nur 51 Jahre kurzen Lebens Napoleons beschreibt Scott, beginnend mit der französischen Revolution im Jahre 1789, als der junge Napoleon (Joaquin Phoenix, anfangs viel zu alt wirkend) den Tod Marie Antoinettes durch die Guillotine beobachtet, eine der vielen historischen Freiheiten, die sich Drehbuchautor David Scrapa nimmt. Ein junger Soldat ist Napoleon zu diesem Zeitpunkt, der bald durch Heldenmut in der Hierarchie aufsteigt, erst zum Teil eines dreiköpfigen Konsulats wird, dann zum allein herrschenden Kaiser, der sein Land zu heroischen Siegen und katastrophalen Niederlagen führt.

In oft ermüdend episodischer Struktur, die penibel die wichtigsten Ereignisse in Leben und militärischem Werk Napoleons abhakt, führt Scott durch das Leben seines Protagonisten und springt dabei oft willkürlich zwischen Schlachten auf dem Feld des Krieges und der Liebe. Denn wichtigste Figur im Leben Napoleons – so suggeriert es zumindest diese Interpretation – ist seine Beziehung zu Joséphine de Beauharnais (Vanessa Kirby), mit der der Herrscher der Grand Nation eine sehr französische Amour Fou führt. Beide haben Affären, doch die wechselseitige Begierde ist stärker – wird aber durch das kleine Hindernis untergraben, dass Joséphine ihrem baldigen Gatten keinen Erben gebären kann. Anlass genug für eine Scheidung, denn dieser Napoleon ist ein toxischer Mann, der die eigene Ambition über alles setzt, der Menschen als Material betrachtet, der im Laufe seiner 61 Schlachten gut drei Millionen Soldaten verheizte, wie es am Ende heißt.

Ein großer Führer – Ein katastrophaler Führer. Zwischen diesen Polen bewegt sich Ridley Scotts Film, der die Faszination eines mächtigen Führers zeigt, der seine Nation und vor allem die einfachen Soldaten jedoch ins Elend stürzt. Parallelen zu Regierungsoberhäuptern der Gegenwart sind ohne Frage kein Zufall, bleiben jedoch zu vage um „Napoleon“ zu einer gelungenen Allegorie zu machen.

Was bleibt sind spektakuläre Schauwerte, Kostüme, Schlösser und Schlachten, und mit Joaquin Phoenix und Vanessa Kirby zwei herausragende Schauspieler, die zumindest in Momenten die Hass-Liebe zwischen Napoleon und seiner Joséphine spürbar werden lassen. Schade, dass der sie umgebende Film nicht mehr ist als ein Abhaken von Lebensstationen eines fraglos faszinierenden Mannes, dem dieser Film dennoch nicht wirklich nah kommt.

 

Michael Meyns