Neneh Superstar

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Der flott inszenierte Familienfilm handelt von einem Thema, das nicht nur Kinder in aller Welt fasziniert: vom Balletttanzen, und nicht nur das: Hier geht es um die Champions League des klassischen Tanzes, nämlich um die berühmteste Ballettschule der Welt, die „École de Danse de l'Opéra national de Paris“. Neneh, die Tochter afrikanischer Einwanderer, hat es tatsächlich geschafft, hier aufgenommen zu werden. Aber wird es ihr auch gelingen, sich durchzusetzen und nicht nur gegen ihre Konkurrentinnen, sondern auch gegen die strenge Direktorin zu bestehen?

Frankreich 2022
Drehbuch und Regie: Ramzi Ben Sliman
Darsteller: Oumy Bruni Garrel, Maïwenn, Aissa Maiga, Steve Tientcheu, Cédric Kahn
Kamera: Antony Diaz
Länge: 97 Minuten
Verleih: Weltkino
Kinostart: 06.04.2023

FILMKRITIK:

Neneh (Oumy Bruni Garrel) ist zwölf und sie träumt davon, die erste schwarze Primaballerina an der Pariser Oper zu werden. Doch im Gegensatz zu den anderen Bewerberinnen um einen der begehrten Plätze an der Ballettschule der Pariser Oper, kommt sie nicht aus einem angesagten Viertel und aus einer privilegierten Familie, sondern sie lebt mit ihren Eltern in einer der Banlieues, wie die Hochhausviertel rund um die Pariser City genannt werden. Aber Neneh hat Glück, denn ihre Eltern (Aïssa Maïga und Steve Tientcheu) sind zwar nicht reich, aber sie unterstützen sie nach Kräften. Dabei hat Nenehs Vater Fred (Steve Tientcheu) mehr Verständnis für Nenehs Begeisterung als ihre Mutter. Erstmal ist Neneh überglücklich, weil sie die schwierige Aufnahmeprüfung an der Ballettschule bestanden hat. Sie ist begabt, diszipliniert und ehrgeizig, aber reicht das aus, um an der „Schule von Prinzessinnen für Prinzessinnen“ zu bestehen? Dass Neneh ihre Wuschelfrisur zum typischen Tänzerinnen-Dutt zähmen muss, ist dabei noch die kleinste Herausforderung. Ein viel größeres Problem sind die übrigen Schülerinnen, die sich als echte Biester erweisen. Neneh ist als schwarzes Mädchen komplett auf sich allein gestellt, und ausgerechnet die Schuldirektorin Marianne Belage (Maïwenn) entpuppt sich als ihre größte Gegnerin.
Achtung, hier kommt ein Wirbelwind auf zwei Beinen: die kleine Oumy Bruni Garrel. Sie pirouettiert sich von der ersten Sekunde an ins Herz des Kinopublikums und beeindruckt mit ihren tänzerischen Qualitäten in Street Dance und klassischem Ballett ebenso wie mit ihrer unbekümmerten Ausdruckskraft. Ihr Charme und ihr Temperament machen aus dem ansonsten eher vorhersehbaren Drehbuch einen unterhaltsamen Film für die ganze Familie und zu einem beinahe realistischen Märchen. Es ist die Geschichte eines schwarzen Mädchens, das gegen alle Widerstände einen ungewöhnlichen Weg geht – den Weg zum Ballett, der eigentlich von meist klapperdürren bleichen Kindern dominiert wird, die aus wohlhabenden Familien kommen und schon mit 12 Jahren intrigieren können wie die Alten. Ramzi Ben Sliman schafft klare Fronten, denn Neneh steht ganz allein einer Gruppe von weißen Mädchen gegenüber, die sie provozieren und quälen. Dass dabei einige Klischees bedient werden, ist wohl unvermeidbar: der Traum vom großen Auftritt, die boshaften Konkurrentinnen, die Lehrer, die das wahre Talent verkennen. Sliman versucht mit praktisch allen Mitteln, Sympathien für Neneh zu wecken – das wäre gar nicht nötig gewesen, denn die kleine Oumy Bruni Garrel beherrscht die Szene und spielt mit dem Publikum wie ein erfahrener Star. Ihr fliegen alle Herzen zu, sie bringt im wahrsten Sinne des Wortes Farbe in den Film und sie kämpft für sich und ihre Leidenschaft. Damit wird sie auch zum Vorbild für andere Kinder. Manches erinnert hier ein wenig an „Billy Elliot“, über den sich tatsächlich viele Jungen fürs Tanzen interessierten. Doch hier geht es eher darum, dass sich Neneh als schwarzes Kind an der Schule durchsetzt. Die Eltern sind bereit, für ihr tanzwütiges Kind praktisch alles zu tun, auch wenn die Mutter das Treiben ihrer Tochter gelegentlich misstrauisch beäugt. Sehr schön ist das Spiel zwischen der Zwölfjährigen und Aïssa Maïga als Mutter, wobei Neneh sich auch von ihrer pubertätsbedingt zickigen Seite zeigt. Eine wichtige Rolle spielt hier auch der Gegensatz zwischen der Sterilität der Schule und der herzlichen schwarzen Community, in der sich Neneh zuhause fühlt. Als Symbol für die Disziplin und Strenge der Schule fungiert die Direktorin, die sich vehement gegen Neneh ausgesprochen hat. Maïwenn spielt die Ex-Tänzerin mit dem großen Geheimnis als professionell verschlossene, alternde Frau, die sich allen Gefühlen verweigern möchte.
Im Vordergrund des Films steht jedoch das Tanzen mit vielen Trainings, Übungen und Proben. Es geht um Perfektion und um Disziplin bis hin zur Selbstaufgabe. Das kann man durchaus kritisch sehen, ist aber hier kein Thema. Ramzi Ben Sliman kombiniert zusätzlich klassisches Ballett und Street Dance, indem er Neneh in den Innenräumen der Schule als Tänzerin mit Tutu, Dutt und Ballettschuhen zeigt und draußen im Freien in ihrer ganzen natürlichen Ausdruckskraft als Street Dancerin. Damit wird aber auch ein hübscher Bogen geschlagen, der aus Neneh mehr macht als eine Kämpferin für sich selbst. Sie wird zur Repräsentantin einer multikulturellen Gesellschaft, in der jede Musikrichtung und jeder Tanzstil genauso seinen Platz hat wie jeder Mensch.
Gaby Sikorski