Nichts ist besser als gar nichts

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Man könnte Jan Peters Langfilmdebüt „Nichts ist besser als gar nichts“ als subtilen Beitrag zur Hartz IV Debatte bezeichnen, der Fragen nach dem Wert und dem Sinn von Arbeit stellt und diese mit witzigen, aber auch nachdenklich machenden Aktionen bebildert. Ein waschechter Dokumentarfilm ist es nicht, eher ein teils inszenierter, sehr sehenswerter Versuch, sich einem vielschichtigen Thema zu nähern.

Webseite: www.nichts-ist-besser-als-gar-nichts.de

Deutschland 2010
Regie: Jan Peters
Drehbuch: Jan Peters
Kamera: Marcus Winterbauer
Schnitt: Nina von Guttenberg, Sandra Trostel
Musik: Pit Przygodda
Dokumentation
Verleih: Filmtank
Kinostart: 4. November 2010
89 Minuten
 

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Am Anfang - so zumindest erzählt es Jan Peters, gleichzeitig Regisseur und Hauptfigur - stand eine aus Versehen mitgenommene Brieftasche. Ohne Geld steht Peters am Frankfurter Flughafen, nur eine Gruppenfahrkarte der Verkehrsbetriebe in der Tasche. Da er abends ins Kino gehen will und Geld braucht, entschließt er sich zu einem Experiment: Er bietet anderen Fahrgästen an, sie gegen eine geringe Beteiligung, auf seiner Gruppenkarte mit in die Stadt zu nehmen. Wie es der Zufall will, trifft Peters als erstes auf einen Punk, der ihn auf die Idee bringt, die Notlösung zu einem Geschäftsmodell zu machen. Und so geschieht es. Tag für Tag verbringt Peters nun mit der Suche nach Mitreisenden, spricht vor Fahrkartenautomaten wildfremde Leute an, die meist etwas erschrocken wirken, manchmal aber auch mitmachen.

Das Peters stets auf interessante Personen trifft, die genau in das Thema seines Films passen, ist natürlich kein Zufall, sondern ist der Tatsache geschuldet, dass es sich bei „Nichts ist besser als gar nichts“ um eine Art inszenierte Dokumentation handelt, die wie so viele aktuelle Dokumentation sehr lose mit der dokumentarischen Form umgehen. Schaden tut diese fast fiktional zu nennende Komponente dem Film nicht, denn Peters geht es nicht um Dogmatismus, um ein Aufdecken sozialer Missstände mit erhobenem Zeigefinger, sondern um subtiles Andeuten von Fragen, die man sich im täglichen Trott allzu selten stellt. So trifft er auf einen sozial engagierten Unternehmensberater (ja, auch so was gibt es), der ihm Tipps für seine Geschäftsidee gibt, im Laufe des Films aber vor allem zu seinem moralischen Gewissen wird.

In bester kapitalistischer Manier zieht Peters sein Geschäft auf, legt sich eine leicht erkennbare Arbeitskleidung zu, verteilt Visitenkarten und beginnt gar, nach zusätzlichen Einnahmequellen zu suchen. Denn schnell muss er feststellen, dass seine Ausgaben kaum durch die spärlichen Einkünfte gedeckt werden. Letztlich geht es auch gar nicht um dieses ungewöhnliche Modell der Personenbeförderung, sondern um all die oft übersehenen Existenzen, die mal knapp über, mal knapp unter dem Existenzminimum ihr Dasein fristen. So ein Straßenhändler, der Tag für Tag einen kleinen Tisch im Eingangsbereich einer U-Bahnstation aufbaut, eine Obdachlosenzeitung verkauft, aber auch Bonbons oder eine Schuhpolitur anbietet. Zum Leben reichen die Einnahmen nicht und doch stellt Peters fest, dass der Händler mehr als zufrieden mit seiner Tätigkeit ist. Denn ihm geht es nicht ums schiere Geldverdienen, sondern darum, Menschen zu helfen und auf seine ganz eigene Art, die Gesellschaft vor dem moralischen Verfall zu bewahren.

Aus altruistischen Motiven zu arbeiten, eine Tätigkeit auszuüben, weil sie auf andere Weise erfüllend ist als durch viel Geld, in der modernen kapitalistischen Gesellschaft mutet das anachronistisch an. Und doch zeigt Peters etliche Menschen, die genau so denken, die wenig mehr wollen, als ein bisschen Anerkennung und die besonders unter den Kürzungen in allen Bereichen leiden. Wenn er nicht so subtil wäre könnte man sagen, dass Peters ihnen mit seinem Film ein Denkmal setzt. Vor allem aber zeigt er, wie man auch und gerade in Frankfurt, also der Heimat der Banken und der Börse, anders leben kann, als es der Raubtierkapitalismus vorzugeben scheint.

Michael Meyns

Im Gegensatz zu früher ist die Arbeitswelt durch die fortschreitende Mechanisierung, Automatisierung und Digitalisierung – der Mensch als humanoide Verlängerung des Automaten – durcheinander geraten und damit bis zu einem gewissen Grade auch die Gesellschaft.

Dem geht der Filmemacher Jan Peters auf seine Weise nach. Er hängt seine „Forschungen“ an einem kleinen persönlichen Missgeschick auf, will es aber ins Positive verkehren, etwas daraus machen, nicht zuletzt Erfahrungen für sich gewinnen.

In Frankfurt beschafft er sich eine Nahverkehrs-Gruppenkarte und bietet wildfremden Menschen an, sie verbilligt an ihr stadtnahes Reiseziel zu bringen. Er trifft einen Punker, der ihn auf diese Idee bringt, einen Unternehmensberater, der ihm (allerdings kostspielige) Tipps gibt – „Lebenskonzepte instrumentalisieren“ -, den älteren Zeitungsverkäufer Jürgen, der in Wirklichkeit Soziales leistet, Hartz-IV-Bezieher oder eine junge Tagesmutter, die für ein gerechteres Steuersystem kämpft. Auch Tom, der Photograph, ist unter denen, die Peters kennen lernt.

Dieser Photograph ist nebenbei leidenschaftlicher Imker. Peters lernt, dass die Biene das drittwichtigste Nutztier bei uns ist, dass ohne die von den Bienen durchgeführte Bestäubung wir bald nichts mehr zu essen hätten, dass mit den Bienen jährlich zwei Milliarden Euro auf dem Spiel stehen und dass aus einem Stock pro Jahr 30 bis 40 Kilo Honig zu gewinnen sind. Jan Peters trifft Jongleure oder einen Demonstranten, der sich für einen Geschädigten der Deutschen Bank hält.

Um aus der eigenen finanziellen Klemme zu kommen, versucht sich der Dokumentarfilmer als Dosensammler, als Zeitungsverkäufer, als Stadtplananbieter und anderes mehr. Seine Gewinnrechnung ist katastrophal. Er hat praktisch nichts verdient.

Eine „moralische Krise“ ist, wie er selbst sagt, die Folge. Aber er hat - durch seinen dokumentarisch echten wenngleich völlig improvisierten und nüchternen Film – viel gelernt, und er zeigt vor allem dem Zuschauer ein Stück wahres Leben, ein Stück heutige Gesellschaft, so trostlos diese zum Teil auch ausfallen mögen. Davor die Augen zu verschließen hätte ohnehin keinen Sinn.

Die Moral von der Geschicht’: Besser wird es nur, wenn irgendwann alle so vorgehen wie der Zeitungsverkäufer Jürgen Schank in dem Film, der mit seinen noch so kleinen Mitteln anderen weiterhilft.

Thomas Engel