Niemand ist bei den Kälbern

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Leben auf dem Land. Für viele Städter ein Traum, für Andere ein Albtraum. Zum Beispiel Christin, die in einem winzigen Kaff in Mecklenburg-Vorpommern lebt und nur weg will. Eindringlich beschreibt Sabrina Sarabi in ihrem zweiten Spielfilm „Niemand ist bei den Kälbern“ triste Dorf-Strukturen. So eindringlich allerdings, dass es selbst dem wohlgesinnten Zuschauer bisweilen schwerfällt, zuzuschauen.

Website: www.niemandistbeidenkaelbern-derfilm.de

Deutschland 2021
Regie: Sabrina Sarabi
Buch: Sabrina Sarabi, nach dem Roman von Alina Herbring
Darsteller: Saskia Rosendahl, Rick Okon, Godehard Giese, Andreas Döhler, Nico Ehrenteit, Hendrik Heutmann
Länge: 116 Minuten
Verleih: Filmwelt
Kinostart: 20.1.2022

FILMKRITIK:

Schattin heißt das Nest, irgendwo auf dem platten Land in Mecklenburg-Vorpommern, in dem Christin (Saskia Rosendahl) lebt. 24 ist sie und lebt bei ihrem Freund Jan (Rick Okon) auf dem Hof von dessen Vater. Der hält Christin, die sich bevorzugt in sehr knappen Tops und sehr engen Hosen zeigt für viel zu vulgär und unernst, jedenfalls gewiss nicht das, was er sich für seinen Sohn vorgestellt hat.

Das Leben auf dem Land hat nicht viel zu bieten, früh aufstehen, die Kühe melken, Arbeit auf dem Feld, abends mit den anderen jungen Menschen der Gegend Bier trinken. Tagein, tagaus geht es so, der Trott ist vom ersten Moment spürbar, das Leben läuft so langsam und träge wie die Windräder, die sich über den Feldern drehen. Selbst ein nicht besonders aufregender Windkraftingenieur verspricht da Abwechslung, Klaus (Godehard Giese) heißt er, ist 46 und stammt aus Hamburg, was für Christin wie die große weite Welt wirkt. Fast eher aus Trotz als aus Lust lässt sie sich von Klaus auf einem Heuballen vögeln (man muss es so derbe sagen).

Eine Art Affäre beginnt, die zwar natürlich keinerlei Zukunft hat, nicht zuletzt da Klaus verheiratet ist und Kinder hat, die für Christin dennoch eine Art Signal zum Aufbruch ist. Im Dorf selbst hält sie nichts, Jan langweilt sie, ihr alkoholkranker Vater (Andreas Döhler) siecht vor sich hin. Dass sich in Schattin etwas ändert, steht nicht zu befürchten. Doch wohin kann jemand wie Christin gehen, die kaum mehr als die Hauptschule hinter sich hat und keinerlei Ambitionen hat?

Die Figur der Christin ist eine Paraderolle für Saskia Rosendahl, die sich in den letzten Jahren durch Rollen in „Fabian“, „Werk ohne Autor“ oder „Mein Ende. Dein Anfang.“ zu einer der interessanten Schauspielerinnen ihrer Generation entwickelt hat. Ihr gelingt es hier, ihre Figur nicht als bloßes Opfer der Umstände zu zeigen, sondern als ambivalente Person, die aneckt und oft wenig sympathisch agiert.

Doch auch Rosendahls starke darstellerische Leistung – für die sie beim Filmfestival von Locarno in einer Nebensektion ausgezeichnet wurde – kann nur bedingt verhindern, dass „Niemand ist bei den Kälbern“ oft droht, bloße Zustandsbeschreibung zu bleiben. So überzeugend schildert Sabrina Sarabi das desolate Leben auf dem Land, die unverhohlene Misogynie, die Hoffnungslosigkeit der jungen Generation, dass jeder Funke nach Ausweg aus dem Trott im Keim erstickt wird.

Harscher Sozialrealismus ist das, überzeugend gespielt, präzise ausgestattet und solide gefilmt, aber am Ende doch ein wenig auf der Stelle tretend. Sehr überzeugend gelingt Sabrina Sarabi die Beschreibung der desolaten Verhältnisse, aber in gewisser Weise ist das fast schon zu überzeugend.

Michael Meyns