„Ich habe Angst vor Monstern, Mama.“ – „Ich auch.“ Dieser kurze Dialog zwischen Niki de Saint Phalle und ihrem kleinen Sohn bündelt wie unter einem Brennglas das, worum es in Céline Sallettes Biopic geht. Dabei entwirft die Regisseurin kein konventionelles Künstlerinnen-Porträt. Stattdessen zeigt sie eine verletzbare und bereits verletzte Frau, die sich den Weg zur Künstlerin erst mühsam bahnen muss.
Webseite: https://www.neuevisionen.de/de/filme/niki-de-saint-phalle-156
Frankreich, Belgien 2024
Regie: Céline Sallette
Drehbuch: Céline Sallette, Samuel Doux
Mitwirkende: Charlotte Le Bon, John Robinson, Damien Bonnard, Judit Chemia, Alain Fromager, Virgile Bramly, Grégoire Monsaingeon, Nora Arnezeder, John Fou, Quentin Dolmaire, Hugo Brunswick u. a.
Kamera: Victor Seguin
Musik: Para One
Länge: 98 Minuten
Verleih: Neue Visionen
Start: 20.03.2025
FILMKRITIK:
Zu Beginn der 50er Jahre lebt Niki mit Ihrem Ehemann Harry Matthews und ihrer Tochter Laura in Paris. Sie versucht sich als Model und Schauspielerin, doch sie wird immer wieder von inneren Dämonen gequält. Eines Tages bricht sie unter der Last des Lebens zusammen und kommt in eine psychiatrische Klinik. Dort leidet sie nicht nur unter einer brutalen Elektroschock-Therapie, sondern auch unter einem selbstherrlichen Klinikchef. Schließlich erkämpft sie sich das Recht, eine Kunst-Therapie zu machen und geht die ersten Schritte auf ihrem langen, beschwerlichen Weg zur Künstlerin. Dabei muss sie sich nicht nur gegen die blasierte, von Männern dominierte Kunstwelt durchsetzen, sondern zunächst einmal ihre eigene künstlerische Stimme finden – ihren Stil. Das gelingt ihr, indem sie den Missbrauch aufarbeitet, den sie als Kind durch ihren Vater erleiden musste. Mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln wehrt sie sich gegen jede Form der Unterdrückung, die sie selbst erleiden musste und muss. Kunst wird für sie zur Waffe, und das ist wörtlich zu verstehen: Sie rückt ihren Werken mit Messern und Gewehren zuleibe und schafft aus Verletzung und Zerstörung etwas faszinierend Neues. Die Künstlerin Niki de Saint Phalle ist geboren.
Obwohl es in beinahe jeder Minute des Films um Kunst geht, steht doch die Menschlichkeit der Jahrhundertkünstlerin Niki de Saint Phalle im Vordergrund. Das ist das Verdienst von Charlotte Le Bon, die in dieser unglaublich facettenreichen Frau die Rolle ihres Lebens spielt. Sie verschreibt sich ihrem Vorbild nicht nur mit Haut und Haaren, sondern förmlich mit ihrer Seele – eine außergewöhnliche und außergewöhnlich faszinierende schauspielerische Leistung.
Auch der Regisseurin und Drehbuch-Koautorin Céline Sallette ist etwas Besonderes gelungen: Sie hat einen anrührenden und in jeder Hinsicht farbenfrohen Film gemacht. Einige stilistische Elemente, wie die gelegentliche Anwendung der Splitscreen-Technik als Referenz an den Zeitgeist der 60er Jahre, wirken zwar etwas gewollt, aber alles in allem ist „Niki de Saint Phalle“ ein Filmerlebnis, das der porträtierten Künstlerin sehr nahe kommt. Allerdings mit der Einschränkung, dass keines ihrer Werke gezeigt wird. Darauf musste Céline Sallette aus Lizenzgründen verzichten. Doch aus dieser Not hat die Regisseurin durchaus bewunderungswürdig eine Tugend gemacht und den Blick auf die Künstlerin statt auf ihre Werke zum Stilprinzip gemacht. Auf diese Weise liegt der Fokus des Films ganz konsequent auf den Menschen – vor allem auf Niki des Saint Phalle als Persönlichkeit – sowie auf der Frage, wie eigentlich Kunst entsteht und wie sehr und wie lange sich die Künstlerin mit sich selbst beschäftigen musste, um ihre Missbrauchserfahrungen zu verarbeiten und etwas Besonderes zu schaffen. Es war ein langer Weg, bis ihre „Nanas“ die Welt eroberten. Und obwohl die Geschichte dieser interessanten Frau alles andere als leicht und fröhlich ist, gibt Céline Sallette ihrem Film etwas Beschwingtes mit auf den Weg, das in seiner positiven Wirkung an die bunten, runden Nanas erinnert und sich auf das Publikum überträgt.
Gaby Sikorski