Niki

Berühmt wurde die französisch-amerikanische Künstlerin Niki de Saint Phalle für ihre bunten, überlebensgroßen Nanas, die weltweit öffentliche Plätze zieren. Das erfährt man allerdings nicht in Céline Sallettes biographischem Film „Niki“, ein Film über eine Künstlerin, der keine Kunst zeigt, sondern sich ganz auf die Psyche seiner Hauptfigur konzentriert.

Frankreich 2024
Regie: Céline Sallette
Buch: Samuel Doux & Céline Sallette
Darsteller: Charlotte Le Bon, John Robinson, Damien Bonnard, Judith Cemla, Radu Mihaileanu, Jesse Guttridge

Länge: 98 Minuten
Verleih: Neue Visionen
Kinostart: demnächst

FILMKRITIK:

Paris, 1952. Als Model verdient Niki de Saint Phalle (Charlotte Le Bon) Geld für sich und ihre kleine Familie, die seit kurzem in Europa lebt. Ihr Mann Harry Matthews (John Robinson) studiert Musik, träumt aber von einer Karriere als Schriftsteller. In chicen Pariser Kreisen verkehrt das Duo, die bald zwei Kinder werden eher vernachlässigt, die eigenen Probleme, vor allem aber die Kunst erscheinen wichtiger.

Zu diesem Zeitpunkt ihres Lebens versucht sich Niki noch an klassischer Malerei, doch mehr als eine Nebensache ist das künstlerische Schaffen noch nicht. So muss sie sich dann auch von einer Bekannten anhören, dass sie nur eine Hausfrau sei, für die Kunst nur ein Hobby sei.

Doch die Kunst wird für Nikis Leben, vor allem für ihr seelisches Gleichgewicht entscheidend: Schwerer Missbrauch in der Kindheit belasten ihre Psyche, lassen Niki oft aufbrausend und unausgeglichen werden. Die Kunst entwickelt sich so langsam zu einem Katalysator für innerste, lange unterdrückte Emotionen, die hinauswollen. In den sogenannten „Schießbildern“ etwa, Bilder, auf die die Betrachter mit Pistolen schießen können, so als würde das Bild für einen verhassten Menschen stehen.

Welchen Effekt diese Bilder auf Betrachter haben können, versucht Céline Sallette in einer Szene anzudeuten: Bei einer Vernissage stellt Niki ein Schießbild aus. Während ein älteres Ehepaar das Angebot, auf das Bild zu schießen, dankend und etwas irritiert ablehnt, schießt ein jüngerer Mann mit zunehmender Wut auf das Bild. Auf wen er denn da symbolisch schießt will Niki vom Bruder des Mannes wissen, der antwortet: Vermutlich auf unseren Vater. Eine unmittelbare, fast schon plakative Szene, die die Schwierigkeit von Sallettes filmischem Ansatz illustriert.

In ihrem Debütfilm versucht die bislang vor allem als Schauspielerin bekannte Sallette nicht einfach nur das Porträt einer Künstlerin zu zeichnen, sondern zu zeigen, wie die Kunst zur Verarbeitung von erlittenen Traumata dienen kann. Dass künstlerische Gestaltung eine heilende Wirkung haben kann ist bekannt, Kunsttherapien sind ein anerkannter Zweig, diese filmisch darzustellen allerdings nicht einfach.

Einmal sieht man da etwa Niki Teller zerbrechen, der erste noch ein Versehen, die folgenden mit Absicht, einerseits aus Lust an der Zerstörung, als Katalysator für aufgestaute Wut, andererseits aber auch im Bewusstsein, dass die bunten Scherben Ausgangspunkt eigener Arbeiten sein können. Doch diese Arbeiten sind nicht zu sehen, so wie in „Niki“ kein einziges Kunstwerk zu sehen ist, weder die von Niki de Saint Phalle, noch jene anderer Künstler, die auftauchen, vor allem ihr späterer zweiter Ehemann Jean Tinguely. Eine etwas seltsame Entscheidung für eine Künstlerbiographie, die sich so freiwillig einer besonderen visuellen Ebene beraubt. Stattdessen liegt Salettes Fokus ganz auf der Psyche ihrer Hauptfigur, deren Leben und Leiden perfekt in den Zeitgeist zu passen scheint: Unterdrückt vom Patriarchat, missbraucht, lange nicht ernst genommen, um dann schließlich doch zu einer der berühmtesten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts zu werden. Gerne hätte man allerdings auch gesehen, warum Niki de Sant Phalle diese wurde und nicht nur gesehen, wie sie zum Opfer der Männerwelt wurde, für die sie vor allem eine hübsche Hysterikerin war.

 

Michael Meyns