Die Doku „Nilas Traum im Garten Eden“ erzählt von einer iranischen Mutter und ihrer Tochter, die beide völlig auf sich allein gestellt sind – und sich einem zermürbenden Kampf gegen die iranische Justiz ausgesetzt sehen. Denn die sechsjährige Nila entstammt einer Zeitehe und ihr rechtlicher Status ist daher ungeklärt. Ein Film über ein verkrustetes, rückständiges Gesellschafts- und Rechtesystem sowie kraftraubende bürokratische Konflikte, die nicht enden wollen.
Deutschland 2024
Regie: Niloufar Taghizadeh
Buch: Niloufar Taghizadeh
Länge: 98 Minuten
Verleih: Little Dream Entertainment
Kinostart: 11. April 2024
FILMKRITIK:
Leyla und ihre Tochter, die sechsjährige Nila, leben in der heiligen iranischen Stadt Maschhad. Nila ist das Ergebnis einer Zeitehe, die es einem Mann ermöglicht, eine Frau zu heiraten, auch wenn dieser bereits verheiratet ist. Kinder, die einer solchen Beziehung entstammen, existieren rechtlich nicht. Alles hängt am Verhalten des Vaters, das erfahren auch Leyla und vor allem Nila. Lange Zeit erkennt der Vater Nila nicht an, wodurch es nicht möglich ist, eine Geburtsurkunde auszustellen und Nilas rechtlichen Status klar zu definieren – die Voraussetzung, um von einer Schule aufgenommen zu werden. „Nilas Traum im Garten Eden“ folgt Leyla und Nila in ihrem Alltag und bei ihrem Kampf um ein normales Leben.
Wie eng Religion, Staat, Politik und Justiz im Iran beim Thema „Stellung der Frau“ miteinander verflochten sind, lässt sich anhand weniger Beispiele so gut darstellen wie der „Ehe auf Zeit“. Diese Form der Ehe ist im Iran vom Gesetz geschützt und legal. Und existiert sonst in keinem Land der Welt. Gleich zu Beginn der Doku erklärt ein Geistlicher im TV mit fadenscheinigen, schwer fassbaren Argumenten, was seiner Ansicht nach für die Zeitehe spricht. Und was sie rechtfertigt. Eine Begründung: ohne sie würden die Männer noch häufiger Prostituierte aufsuchen.
Stattdessen erlaube es ihnen die temporäre Ehe, ihre Lust und sexuellen Triebe auf diese Weise auszuleben. Mit einer Frau, die akzeptieren muss, wenn ihr Mann schon eine Frau hat. Die iranische Frau darf nur eine Ehe führen, für die Anzahl der Zeitehe-Frauen des Mannes gibt es hingegen keine Regelung oder Begrenzung. Weitere religiöse Führer, die in Archivaufnahmen zu sehen sind, geben ihre frauenverachtenden Ansichten von sich. Wenig später verdeutlicht Leylas aufopferungsvoller Kampf vor Gericht, wie schwer es auch die Justiz den Frauen macht. Wie gering ihr Ansehen in der iranischen Gesellschaft ist, wie wenig Rechte sie haben. Und mit ihnen die Kinder, die während einer temporären Ehe gezeugt wurden.
Die sehr konzentriert und akribisch vorgehende Regisseurin Niloufar Taghizadeh hat diesen Film über drei Jahre lang teilweise im Geheimen gedreht. Am Beispiel von Nila erzählt sie von den unzähligen, offiziell nicht „dokumentierten“ Kindern im Iran. Sie entscheidet sich für eine Mischung aus Interviewsequenzen (mit Leyla), Archivbildern und dokumentarischen Alltagsszenen. Hinzu kommen jene Momente, die Leyla bei ihren Auseinandersetzungen mit den iranischen Behörden zeigen. Egal ob es um die Geburtsurkunde geht, die Kommunikation mit dem zuständigen Grundschulamt oder die notwendigen Sorgerechtsdokumente – die Konflikte und Kommunikation mit den jeweiligen Ämtern erweisen sich als ungemein mühsam und kraftraubend.
Die Regisseurin hält ihre Botschaften und die Prämisse in den Dialogen, Bildern und dem stimmungsvollen Soundtrack durchgehend aufrecht. Und zwischendurch sehen wir die lebenslustige Nila, die das ganze Ausmaß noch nicht begreifen kann. Sie filmt sich beim Herumalbern, Spielen oder Schminken – und verleiht dieser Doku mit ihren lebensfrohen, sympathischen Aufnahmen eine angenehme kindliche Leichtigkeit und Verspieltheit.
Björn Schneider