NoBody’s Perfect

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In "NoBody‘s Perfect" begibt sich der Contergan geschädigte Regisseur Niko von Glasow auf die Suche nach Schicksalgefährten, die bereit sind, für einen Aktphotoband Modell zu stehen. Er findet 11 Mutige, zu denen so unterschiedliche Persönlichkeiten wie die toughe Dressurreiterin Bianca Vogel, der exhibitionistische Schauspieler Mat Fraser und der zurückhaltende Gärtner Theo Zavelberg gehören. In faszinierenden Gesprächen geben Sie  - mal nachdenklich, mal amüsiert – Einblick in ihr Leben.

Webseite: www.ventura-film.de

Deutschland 2008
Regie: Niko von Glasow
Kamera: Ania Badrowska, Andreas Köhler
Mitwirkende: Stefan  Fricke, Sofia Plich, Bianca Vogel, Sigrid Kwella, Doris Pakendorf, Theo Zavelberg, Petra Uttenweiler, Andreas Meyer, Kim Morton, Fred Dove, Mat Fraser, Niko von Glasow, Mandel von Glasow
Länge: 84 Min.
Verleih: Ventura Film
Starttermin: 11.9.2008

PRESSESTIMMEN:

...auf film-zeit.de


FILMKRITIK:

Am Beginn von "NoBody‘s Perfect" erklärt Regisseur Niko von Glasow seinem Sohn Mandel, dass er nie mit ihm schwimmen geht, weil er Angst hat, wegen seiner kurzen Arme angestarrt zu werden - er gehört zu den über 5.000 Menschen, die in den 50er und 60er Jahren mit Behinderungen geboren wurden, nachdem ihre Mütter das Schlafmittel Contergan eingenommen hatten. Im Versuch, sich seiner Angst zu stellen, ruft von Glasow ein Photoprojekt ins Leben. Er macht sich auf die Suche nach Contergan-Opfern in Deutschland und England, die bereit sind, sich für Aktphotos auszuziehen. Der Film dokumentiert die Umsetzung des Projektes, die Vorgespräche mit den Models, die Photosession und die anschließende Ausstellung der lebensgroßen Aktphotos vor dem Kölner Dom. 

Am meisten Raum nehmen die Vorgespräche mit den 11 Freiwilligen ein, die daheim, auf der Arbeit, beim Spazierengehen und in der Kneipe aufgenommen wurden. Einige von Ihnen, darunter auch der Regisseur, haben die Begegnung mit anderen Contergan Geschädigten bisher vermieden und genießen es sichtlich, sich endlich einmal mit Schicksalsgefährten austauschen zu können. Mit Leuten, denen man nicht alles erklären muss, die auch mal direkt fragen können ohne taktlos zu sein und die Insider-Witze verstehen. Mit allen Partnern findet von Glasow schnell eine persönliche Ebene und so sind die Interviews eher Gespräche unter Freunden. 

Entsprechend offen, freundlich, gut gelaunt und humorvoll werden die verschiedensten Themen erörtert. Es geht um das bevorstehende Projekt, um Alltagsfragen, Kindheits-erfahrungen, die Politik der Chemiefirma Gruenenthal und die Auseinandersetzung mit der eigenen Behinderung. Neben Platz für Albernheiten und Absurditäten gibt es das nötige Vertrauen für ernste und sehr persönliche Fragen. Mehrfach fragt von Glasow seine Gesprächspartner „Hast Du schon einmal an Selbstmord gedacht?“ und immer wieder „Welches Körperteil macht Dir am meisten Sorgen, wenn Du an das bevorstehende Shooting denkst?“. Die überraschende Antwort auf die zweite Frage lautet in den meisten Fällen: „Mein Bauch.“
Was "NoBody‘s Perfect" von vielen Filmen über Menschen mit Behinderung unterscheidet, ist zum einen die entspannte Innensicht und zum anderen die Intention. "NoBody‘s Perfect" geht es nicht um Aufklärung, Anklage oder gar Mitleid, sondern um eine Änderung des Blicks. Es geht darum, dem verletzenden Hinstarren/dem unsicheren Wegschauen, das Körperbehinderte in der Öffentlichkeit oft aushalten müssen, eine andere Möglichkeit des Blickes entgegen zu setzen. Sowohl die Aktphotos und der Film laden die Zuschauer ein, in Ruhe genauer hinzusehen, sich an die Protagonisten zu gewöhnen und dabei zu lernen, über die Behinderung  nicht so sehr weg als hinaus zu sehen auf den ganzen komplexen Menschen.

Dass das gelingt, liegt im Wesentlichen am Mut der 12 HauptdarstellerInnen, die einen erstaunlich ehrlichen Einblick in ihr Leben und ihre Gedanken erlauben und sich mit ihren Körpern in ihrer ganzen Verletzlichkeit, Schönheit und Unterschiedlichkeit den neugierigen Blicken der Öffentlichkeit stellen.

Hendrike Bake

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Niko von Glasow ist Contergan-Geschädigter, „Conterganer“, wie die Betroffenen selbst sagen. In London und Köln lebender Filmregisseur, hat er sich – teilweise zur „Selbsttherapie“ – zu einem ganz besonderen Projekt aufgeschwungen: zur filmischen Schilderung der Herausgabe eines Akt-Kalenders von 12 Contergan-Behinderten, Männer und Frauen.

Er will damit erreichen, dass die Conterganer in der menschlichen Gemeinschaft als normal angesehen werden. Das hilft den Geschädigten, die neben dem körperlichen Schaden schwere und ständige seelische Leiden ertragen müssen, und das kann die Nichtgeschädigten zu einem natürlichen Verhalten erziehen.

Annähernd 10 000 betroffene Kinder, davon 4000 in Deutschland, wurden geboren, von denen bis heute die Hälfte überlebte. Das besonders Tragische an der Sache: Die Gefährlichkeit des Medikaments Contergan war, bevor der Vertrieb endlich eingestellt wurde, von einigen erkannt worden.

In relativ kurzer Zeit hatte Niko von Glasow seine zwölf Kandidaten, Deutsche und Englänger, zusammen: einen Astrophysiker, eine Tangolehrerin, einen Schauspieler und Autor, eine mitten in ihrer Scheidung steckende Lady, einen Contergan-Aktivisten, eine Sozialarbeiterin, einen Gärtner, eine Bürgermeisterin, eine Dressurreiterin, einen Radioreporter, eine Stuttgarterin und von Glasow selbst.

Sie erzählen aus ihrem ungewöhnlichen Leben.

Wie wird man mit sich selbst fertig? Wie reagieren die meisten Menschen? Wie reagieren die Kinder? Hat man manchmal Selbstmordgedanken? Kann man als Conterganer glücklich sein? Was ist mit einer Partnerschaft? Was ist mit dem Sex? Ist man zur Einsamkeit verurteilt? Wie ist die materielle Versorgung? Wie ist die Lebenserwartung? Heute sind die Conterganer um die 50 Jahre alt.

Das alles wird in diesem gut inszenierten Film sichtbar – und bringt ganz sicher das Bewusstsein der „Normalen“ ein Stück weiter.

Dann die weitgehend schönen Kalenderbilder. Sie werden ausgestellt und erscheinen in Buchform. Die Reaktion der Leute wird getestet. Die verantwortliche Pharma-Firma scheint von dem Projekt nichts wissen zu wollen.

Die Kinozuschauer sollten – und dürften – sich da anders verhalten.

Thomas Engel