Zum Vergrößern klicken

Das langsame Erlöschen der Liebe, aber nicht als Tragödie, sondern als abwechslungsreiche Überspitzung des Alltags mit surrealen Schockelementen: Das prägt die fünfte Zusammenarbeit des Geschwisterpaars Anna und Dietrich Brüggemann. Sie dröseln 15 Stationen einer Beziehung mit Kinderkriegen und Beruf auf, zumeist in chronologischer Reihenfolge und mit einer sehenswerten Rückblende am Schluss.

Website: www.filmwelt-verleih.de/cinema/movie/na

Deutschland 2021
Regie: Dietrich Brüggemann
Drehbuch: Anna Brüggemann, Dietrich Brüggemann
Darsteller: Alexander Khuon, Anna Brüggemann, Isolde Barth, Hanns Zischler, Andreas Döhler, Nina Petri, Petra Schmidt-Schaller, Mark Waschke
Länge: 119 Minuten
Verleih: Filmwelt
Kinostart: 30.9.2021

FILMKRITIK:

Sprechstunde beim Frauenarzt, Ultraschall: Die Bilder des Fötus werden auf einen großen Bildschirm übertragen. So können die werdenden Eltern die stark vergrößerten Aufnahmen des neuen Lebens besonders gut sehen. Deutlich ist das Herz erkennbar, wie es schlägt und pumpt. Aber Michael (Alexander Khuon) reagiert nicht, wie er sollte. Er kann gar nicht hinschauen, stöhnt auf, steht kurz vor einer Panikattacke. Der Zuschauer weiß warum, aber weder Dina (Anna Brüggemann) noch der Doktor können das Monster sehen, das schockartig aus den Bildern hervorspringt. Der surreale Moment ist kein Zufall, eher so etwas wie die Rache des Verdrängten. Er visualisiert die Angst, den Herausforderungen der Vaterschaft nicht gewachsen zu sein. Aber so vernünftig klingt das nur in der Nacherzählung. Im Film ist das Spiel mit schockartigen Überraschungen Teil einer wunderbar verrückten und doch im Kern ernsten Geschichte vom langsamen Scheitern eines süßen Traums.

Dina nimmt ihrem Geliebten das merkwürdige Verhalten nicht krumm. „Das sind die Hormone“, beruhigt sie ihn in einer witzigen Vertauschung des Sachverhalts. Die beiden passen gut zusammen, lieben einander seit Jahren. Warum sollten sie nicht den nächsten Schritt gehen, eine Familie gründen, ein Nest bauen? Dina, die Schauspielerin, empfindet Kinder großziehen als das Normalste der Welt. Jeder kann es, schon seit Hunderttausenden von Jahren. Michael, von Beruf Arzt, fürchtet sich hingegen vor dem Programm, das abläuft, wenn man den ersten Schritt wagt. Er hat Angst vor den Erwartungen der anderen und einem Lebenskonzept, das schon da ist und in das man einfach hineinrutscht, ohne es selbst gestalten zu können. Gleich in der Eingangsszene gesteht er Dina, dass ihm manchmal der Gedanke durch den Kopf geht, sich lieber zu trennen. Dina sagt dazu nur ein Wort: Nö.

15 Szenen einer Ehe, könnte man sagen, wenn man die formale Struktur des Films beschreiben wollte. Daran ist richtig, dass Dietrich Brüggemann in sich abgeschlossene Episoden gedreht hat, ähnlich wie in „Kreuzweg“ (2014) oder „Neun Szenen“ (2006), mit mehr oder weniger großen zeitlichen Sprüngen dazwischen, in einer einzigen ungeschnittenen Einstellung mit oft statischer Kamera. Falsch liegt jedoch, wer ein typisches Ehedrama à la Ingmar Bergman mit Seitensprüngen und lautstarken Streits erwartet. „Nö“ ist leiser, aber keineswegs weniger eindringlich. Was als Komödie mit vielen realen und surrealen Einfällen beginnt, verdichtet sich zu einer berührenden, unter die Haut gehenden Abwärtsspirale, die gerade deshalb so tieftraurig ist, weil gar nichts Spektakuläres passiert, nur das ganz normale Programm, vor dem Michael sich so gefürchtet hat.

Zusammen mit ihrem Bruder Dietrich hat Anna Brüggemann ein Drehbuch geschrieben, in dem die Liebenden wenig Schuld trifft, höchstens vielleicht, überhöhte Ansprüche zu haben. Es sind äußere Umstände, die dieser Liebe zusetzen, ein gefühlskalter Schwiegervater etwa, oder die Widrigkeiten des Schauspielberufs, die Notwendigkeit, Geld zu verdienen, der Mangel an Gelegenheit, einmal durch zu schnaufen und über alles nachzudenken. Aber das Geschwisterpaar, das schon einige herrliche Komödien gedreht hat, wäre nicht es selbst, wenn es sich von solchen Geschichten herunterziehen ließe. Die Reibung an der Realität erzeugt in „Nö“ sprühende Funken, mit großartigen Schauspielern, die manchmal nur in einer Szene auftreten, aber dort unvergessliche Kabinettstückchen aufführen. Hanns Zischler etwa ist dabei, ebenso Mark Waschke und Andreas Döhler.

Peter Gutting