Nomaden des Himmels

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Ein ruhiger, sanftmütiger und sehr atmosphärischer Film über eine kirgisische Nomadenfamilie, die seit vielen Jahren ein einfaches Leben in der atemberaubenden Natur des Landes führt, ist Regisseur Mirlan Abdykalykov mit seinem Spielfilm-Debüt gelungen. „Nomaden des Himmels“ vermittelt nicht nur einen intensiven Einblick in den Alltag einer abseits der Zivilisation lebenden Familie, sondern besticht auch durch die beeindruckenden, prächtigen Landschaftspanoramen Kirgistans. Ein geheimnisvolles Land, das auf der großen Leinwand viel zu selten stattfindet.

Webseite: www.neuevisionen.de

Kirgistan 2015
Regie: Mirlan Abdykalykov
Drehbuch: Ernest Abdyjaparov, Aktan Arym Kubat
Darsteller: Tabyldy Aktanov, Anar Nazarkulova, Taalaikan Abazova, Jibek Baktybekova
Länge: 80 Minuten
Verleih: Neue Visionen
Kinostart: 14. April 2016

 

FILMKRITIK:

Der alte Hirte Tabyldy (Tabyldy Aktanov) und lebt mit seiner Frau Karachach (Anar Nazarkulova), der Schwiegertochter Shaiyr (Taalaikan Abazova) und deren siebenjähriger Tochter Umsunai (Jibek Baktybekova) in der abgeschiedenen Natur Kirgistans. Shaiyrs Mann ist vor langer Zeit in einem nahe gelegenen Fluss ertrunken, seitdem hält der weise Tabyldy als Oberhaupt die Familie zusammen. Als sich eines Tages der Meteorologe Ermek (Jenish Kangeldiev) mit seiner Messstation direkt neben Shaiyrs Zuhause niederlässt, bahnt sich eine Veränderung an: die Beiden kommen sich näher und Tabyldy befürchtet, dass sich seine Schwiegertochter bald für ein sesshaftes Leben in der Stadt entscheiden könnte. Als dann auch noch Shaiyrs Sohn auftaucht und vom modernen Leben in der Stadt erzählt, wird dem alten Ehepaar bewusst: ein neues Zeitalter steht bevor, in der sich die junge Generation immer weiter vom traditionellen Nomadenleben entfernt.

Der Regisseur des Films, Mirlan Abdykalykov, ist eigentlich Journalist, interessierte sich aber noch vor seinem Journalismus-Studium an der „National University“ in Kirgistan für die Schauspielerei und Film. So war er in drei Filmen seines Vaters, ein bekannter Regisseur des Landes, in der Hauptrolle zu sehen, bevor er 2010 seinen ersten eigenen Kurzfilm realisierte. Das atmosphärische, emotionale Familiendrama „Nomaden des Himmels“ wurde im letzten Jahr von Kirgistan für den Auslands-Oscar vorgeschlagen.

In „Nomaden des Himmels“ geht es ruhig und entschleunigt zu. Regisseur Abdykalykov passt sich mit seinem Regie-Stil ganz dem friedlichen Leben der Familie an, die weit weg von der modernen Zivilisation lebt. Ganz ohne den Stress und die Hektik der von ständiger Erreichbarkeit geprägten modernen, hoch technisierten Welt. Abdykalykov wählt lange Einstellungen, verzichtet auf allzu viele Schnitte und lässt die atemberaubende Natur mit ihren märchenhaft schönen Gebirgslandschaften, schneebedeckten Gipfeln und blauen Seen für sich sprechen. Die Kamera fängt die vielen Gipfel, Gletscher und Hochgebirgsseen in berauschend schönen Bildern ein. In seiner Stille und meditativen Sanftheit hat der Film etwas Spirituelles, was sich auch in den von Tabyldy erzählten alten Volkssagen und kirgisischen Mythen immer wieder zeigt.

„Nomaden des Himmels“ ist aber weit mehr als ein sinnliches Filmerlebnis mit starken Landschafsaufnahmen der umliegenden Natur. Er schildert auch das harte Leben einer traditionellen Nomadenfamilie, die sich durch die Umwälzungen der modernen Zeit in ihrer Existenz bedroht sieht. Das Leben in der Einsamkeit ist hart für die Familie, dennoch gelingt ihr es dank der Tiere zu überleben, außerdem gibt ihnen ihr starker Zusammenhalt und der Glaube an das Gute die nötige Kraft.
Hauptdarsteller Tabyldy Aktanov als gleichnamiges, lebenskluges Familienoberhaupt strahlt eine ungeheure Ruhe und Besonnenheit aus. Er hält mit seinen Legenden, die er seiner Enkeltochter erzählt, wenn diese wieder einmal große Trauer aufgrund des Verlusts des Vaters überkommt, sowie seiner Willensstärke, die Familie zusammen. Jibek Baktybekova hat mir ihrer reifen Leistung als niedliche, wissbegierige und hochsensible Enkeltochter alle Sympathien auf ihrer Seite.

Und dann ist das noch die Tatsache, dass der Film die Welt des Nomadentuns ganz direkt mit der „Neuzeit“ konfrontiert. Auch das zeichnet das Werk aus. Unberührte, abgeschiedene Orte, in denen Menschen im Einklang mit der Umgebung und der Naturmythologie leben, treffen auf die Vorzüge und Reize der zivilisierten Großstadt. Diese ist zwar nie im Bild, aber vor allem Shaiyrs Sohn berichtet nach seiner Rückkehr zur Familie von den verlockenden Vorzügen der Stadt: da gebe es Diskotheken, Kinos, viele Kultur- und Freizeitangebote und nicht zuletzt bessere Berufsaussichten für junge Menschen wie ihn. Die Zeiten hätten sich nun einmal geändert, sagt er an einer Stelle. Und da wird nicht zuletzt auch dem altersweisen Tabyldy bewusst, dass das karge, reduzierte Nomadenleben, für die meisten jungen Menschen nichts mehr ist. In diesen Momenten versteht es der Film auch, Gefühl, Melancholie und Nostalgie entstehen zu lassen.

Björn Schneider