Nord

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In die Sammlung skurriler Filmgeschichten aus dem hohen Norden Europas reiht sich diese Off-Road-Tragikomödie nahtlos ein. „Nord“ erzählt von einem depressiven Ex-Skisportler und seiner persönlichen, durch verschneite und einsame norwegische Landstriche führenden Reise zu seinem ihm noch unbekannten Sohn. Ein bisschen im Stil von David Lynchs „Straight Story“, ein wenig auch in der Tradition von Bent Hamers lakonischen Filmen wie „Kitchen Stories“ und „O’Horten“, überzeugt das Spielfilmdebüt des in seiner Heimat vor allem als Dokumentarfilmers bekannten Rune Denstad Langlo voll und ganz.

Webseite: www.alamodefilm.de

Norwegen 2009
Regie: Rune Denstad Langlo
Darsteller: Anders Baasmo Christiansen, Kyrre Hellum, Marte Aunemo, Lars Olsen
78inuten
Verleih: Alamode-Film
Kinostart: 7.1.2010
 

PRESSESTIMMEN:

Preisgekröntes, liebenswert schwerblütiges und kauziges Spielfilmdebüt eines Dokumentarfilmers, zu Cowboy-Musik eisgekühlt serviert.
KulturSPIEGEL

Ein absurders, schneeblindes Roadmovie voll skurriler Situationskomik und ein wunderbares Antidepressivum auf Eis.
Brigitte

AUSZEICHNUNGEN:

- FIPRESCI Preis
- Europa Cinema Label
- Publikumspreis der Filmkunstmesse Leipzig 2009
- Eröffnungsfilm Panorama / Berlinale 2009

FILMKRITIK:

Früher hat er sich auf Skiern zu Tale gestürzt, jetzt steht er höhenängstlich und wie festgefroren auf dem Masten einer Skiliftanlage, unfähig seinen Job als Liftbetreiber auszuführen. Noch lieber freilich wäre es Jomar (Anders Baasmo Christiansen), wenn er wieder zurück in die Psychiatrische Anstalt kehren könnte. Doch dann ändern sich die Dinge für den mit einer Vorliebe fürs Rauchen, Trinken und Schlafen ausgestatteten brummeligen Faulpelz mit einem Schlag. Von seinem einst besten Freund erfährt Jomar, seit mittlerweile vier Jahren Vater zu sein. Als Jomars Skihütte aus Unachtsamkeit abbrennt, nimmt er dies als Zeichen und macht sich auf den über 1000 Kilometer langen Weg zu seinem Sohn nach Norden.

Wo für gewöhnlich das Auto oder ein Bus genommen würden, vertraut der sensible und leicht reizbare Liftwärter auf ein Schneemobil, später auch auf Skier. Funkenschlagend durchquert er eine Unterführung – für den noch von schauerlichen Nachrichten einer im Fernsehen ausgestrahlten „Tunnel Desaster Week“ beeinflussten Jomar eine wahre Mutprobe, jedoch auch ein wichtiger Schritt, Vertrauen in sich selbst zu finden, dem Leben und seinen Herausforderungen mutig entgegenzutreten.

Auf seiner Reise in Richtung des Polarkreises begegnet Jomar einer Reihe von wie er einsamen und von ihrer Umgebung geprägten Menschen. Mal lässt ihn eine Schneeblindheit für ein paar Tage unfreiwillig rasten, mal ist es ein Defekt am Schneemobil. Bei jedem seiner Stopps lernt der wortkarge Jomar jedoch, sein eigenes Trauma immer besser zu bezwingen. Was er noch lernt: auch mit Schnaps getränkte Tampons auf eine kahlrasierte Stelle am Kopf geklebt können einen Rausch bewirken.

Wenn später während der Begegnung mit einem Weisheiten von sich gebenden alten Samen ein Motorschlitten im zugefrorenen See einbricht und untergeht (was durchaus als eine Folge des Klimawandels zu verstehen ist), dann erinnert diese Einstellung durchaus an unfreiwillige Schlitterpartien in Ang Lees „Der Eissturm“ oder Bent Hamers „O’Horten“. Mit letzterem hat „Nord“ die präzise Beobachtung von absurden Momenten und Begegnungen mit einer Reihe eigenwilliger Figuren und wunderbar lakonischen Situationen gemein. Die ruhigen, zumeist statischen Kameraeinstellungen passen zur Poesie der verschneiten Schneelandschaften, der Soundtrack im bestens zur winterlichen Schneeprärie passenden Westernsound unterstreicht das Gefühl von Weite, fungiert aber auch als Tempo- und Muntermacher. Auch wenn diese skurrile Tragikomödie von einem depressiven Eigenbrötler handelt – ihm auf seiner von Hindernissen und den Begegnungen mit anderen Sonderlingen geprägten Reise zu folgen, macht absolut Laune.

Thomas Volkmann

Norwegen. Jomar war einmal Skirennfahrer, doch er hatte einen Unfall. Seither ist er krank – körperlich und psychisch. Er darf nur noch einen Skilift bedienen. Regelmäßig muss er eine Seelenärztin aufsuchen.

Er bekommt Besuch von seinem Freund Lasse. Freund ist übertrieben, denn Lasse war es, der Jomar seine Geliebte Linnea weggeschnappt hat. Streit, Prügelei und Versöhnung sind programmiert. Lasse verschwindet wieder.

Jomar spricht ganz schön dem Alkohol zu. Vielleicht brennt deshalb die Hütte ab, in der er lebt. Er versteht das als Zeichen, dass er etwas ändern, dass er fort muss.

Nach Norden, wo Linnea mit Jomars vierjährigem Sohn lebt.

Er macht sich mit dem Motorschlitten auf den Weg. Tiefer Winter. Er wird ziemlich schnell schneeblind und muss sich deshalb unterwegs einquartieren – bei dem weit abgelegen wohnenden gesprächigen Mädchen Lotte, dessen Großmutter von dem unverhofften Besuch überhaupt nichts hält.

Die nächste Station ist bei Ulrik, einem verrückten, zu Sauf- und Sexspielchen aufgelegten Kerl, bei dem Jomar wegen eines Schneesturms und einer Panne eine Nacht verbringt. Möglich ist dies, weil Ulriks Eltern sich derzeit in Thailand aufhalten.

Weiter geht es – bis zu einem sich in der Schneewüste befindlichen Zelt, in dem der alte Ailo – auf den Tod wartet. Zuerst aber gibt es mit Alkohol begossene „tiefschürfende“ Unterredungen.

Ailos Plan (und Ausführung) bringt Jomar zur Vernunft. Jetzt gelten nur noch die Rückkehr zu Linnea und die Verbindung mit ihr.

Wer unten ist, muss durch was und welche Begegnungen auch immer versuchen, neuen Lebensmut zu fassen. Das ist die „Botschaft“ von „Nord“. Ansonsten ist das ein kurios, verrückt, seltsam und originell anmutendes, dramaturgisch flüssig gelöstes Spielfilmdebüt eines Dokumentarfilmers, über das man sich durchaus amüsieren kann und bei dem man auch das Nachdenken nicht zu vernachlässigen braucht. Zu Recht wird es angekündigt als „anti-depressives Off-Road-Movie“. Mehrere Preise gab es auch schon.

Thomas Engel