Nur ein Augenblick

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Das Drama der Kinodebütantin Randa Chahoud ist zweifellos ein wichtiger Beitrag zum Thema Krieg und was er mit den Menschen macht – oder was sie mit sich machen lassen. Im Mittelpunkt steht der junge syrische Student Karim, der auf der Suche nach seinem verschwundenen Bruder das sichere Deutschland verlässt und schließlich, eher zufällig, in die Kriegshandlungen verwickelt wird. Die Geschichte ist eher ein Thriller als ein Anti-Kriegsfilm und oft sehr ergreifend, also nichts für ganz Zartbesaitete. Randa Chahoud zeigt den furchtbaren Teufelskreis des Krieges, dem niemand entkommen kann. Zwar wird auf die direkte und brutale Darstellung von Gewalt verzichtet, jedoch liegt eine stets spürbare Bedrohung wie ein dunkler Schatten über dem Film, der neben einer spannenden Handlung auch imponierende schauspielerischen Leistungen bietet.

Webseite: www.farbfilm-verleih.de

Deutschland/Großbritannien 2019
Regie und Drehbuch: Randa Chahoud
Darsteller: Mehdi Meskar, Emily Cox, Jonas Nay, Amira Ghazalla, Husam Chadat
Kamera: Sören Schulz
Musik: Hani Asfari
108 Minuten
Verleih: farbfilm
Start: 13. August 2020

FILMKRITIK:

Noch vor Beginn des syrischen Bürgerkriegs, zu Zeiten des „Arabischen Frühlings“ wurde Karim von seinen Eltern nach Hamburg geschickt, um dort zu studieren. Inzwischen hat er sich gut eingelebt. Er versteht sich bestens mit seinen Kommilitonen und lebt mit seiner Freundin Lilly zusammen, die mit ihm ein Kind erwartet. Die gute Nachricht, dass seine Eltern nach Deutschland kommen können, wird allerdings davon getrübt, dass Karims Bruder Yassir in Syrien verschwunden ist. Kurzerhand entscheidet sich Karim, ins Kriegsgebiet zu fahren, um seinen Bruder rauszuholen. Kaum ist er dort angekommen, gerät er zwischen die Fronten. Mehrmals gelingt es ihm, knapp dem Tod zu entkommen. Er schließt sich den Rebellen an, für die auch sein Bruder gekämpft hat. Als Karim erfährt, dass Yassir in einem berüchtigten Folter-Gefängnis gesehen wurde, setzt er alles daran, ihn zu befreien. Währenddessen hat die schwangere Lilly Karims Eltern bei sich aufgenommen. Gemeinsam versuchen sie herauszubekommen, wo Karim geblieben ist. Doch die Zeit vergeht, und es gibt keine Nachricht von ihm. Niemand ahnt, dass Karim inzwischen im Strudel von Gewalt und Gegengewalt gefangen ist. Sein Schicksal scheint besiegelt.

Der englische Titel „The Accidental Rebel“ – also „Der Rebell aus Zufall“ – beschreibt die Situation absolut perfekt. Karim ist kein Kämpfer, ganz im Gegenteil. Doch die Situation, in die er sich begibt, lässt ihn zum Opfer und letztlich zum Täter werden. Das macht der Krieg aus den Menschen. Und das ist furchtbar. Auch Karim wird diesen Krieg nicht mehr los werden, nicht einmal, als er wieder zurück nach Hamburg kommt, wo Lilly inzwischen einen kleinen Jungen zur Welt gebracht hat. Der Krieg hat Karim verändert. Dass er nun Vater ist, dass Lilly weiter zu ihm hält und dass sie alle mit Karims Eltern zusammenleben … all das zählt nicht. Die Konfrontation mit dem Tod, die ständige Angst und der Kampf ums Überleben haben ihn gezeichnet und geprägt. Die Schuld, die er damit auf sich geladen hat, erfüllt ihn ebenso wie der Hass auf die, die er dafür verantwortlich macht.

Während hierzulande meist die Situation der Kriegsflüchtlinge aus Syrien im Mittelpunkt steht, hat Randa Chahoud als Autorin und Regisseurin einen anderen Weg gewählt: Sie zeigt einen scheinbar Unbeteiligten, der – von den besten Absichten geleitet – als komplett Unschuldiger in die Kriegshandlungen verwickelt wird und auf diese Weise gezwungen ist, Position zu beziehen. Immer tiefer gerät Karim in die Gewaltspirale, und sein Handeln verändert ihn, aber es verändert auch die Beziehung zu Lilly und zu seinen Eltern. Randa Chahoud zeigt den tragischen Weg dieses jungen Mannes, den Mehdi Meskar mit viel Intensität spielt. Die Bilder aus Syrien sind dabei oft düster, sie spiegeln die ständige Bedrohung. Parallel dazu wird gezeigt, was in Hamburg passiert: die Ankunft von Karims Eltern, Lillys Versuche, Karim aufzuspüren, und die Geburt des Sohnes. Hier herrscht eine gewisse, manchmal erleichternde Normalität, die manche Bilder aus der Kriegszone erträglicher macht. Die abwechslungsreiche Dramaturgie erzeugt durch den Wechsel der Schauplätze zusätzliche Spannung und erinnert stark an einen Thriller. Allerdings lässt sich Randa Chahoud mehr Zeit als thrillerüblich. Sie spielt nicht mit den Ängsten der Zuschauer und treibt die Hochspannung weder inhaltlich noch formal auf die Spitze, sondern hält ein relativ ruhiges Tempo. Es ist deutlich zu merken, dass sie keinen Kriegs- oder Anti-Kriegsfilm drehen wollte, sondern ein vielschichtiges Drama, in dem nicht der Krieg im Mittelpunkt steht, sondern die Menschen und ihre Entwicklung im Angesicht der Bedrohung. Manches erscheint dabei etwas gewollt, man spürt die gute Absicht, unter anderem auch dadurch, dass Lilly, sensibel gespielt von Emily Cox, sehr offensichtlich ebenfalls als Hauptfigur etabliert werden soll. Das alles ist ehrenwert, allerdings wirkt die Geschichte durch viele Hamburger Nebenhandlungen manchmal etwas konstruiert, jedoch niemals langweilig. Am Ende gelingt es Randa Chahoud dann erfreulicherweise, so etwas wie eine Lösung zu finden, die das Publikum ein bisschen hoffnungsvoll und zumindest etwas erleichtert aus dem Kino entlässt.

Gaby Sikorski