Nur eine Stunde Ruhe

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In der Tradition einer Boulevardkomödie inszeniert Patrice Leconte in seinem neuen Film „Nur eine Stunde Ruhe“ die unweigerlich scheiternden Versuche eines Zahnarztes, in Ruhe eine Jazz-Platte zu hören. Eine Katastrophe folgt auf die nächste und läßt das so perfekt funktionierende Leben entgleisen. Das ist klaumaukig und grob gezeichnet, aber als Vertreter seines Genres funktioniert der Film durchaus.

Webseite: http://einestunderuhe-derfilm.de

OT: Une heure de tranquillité
Frankreich 2014
Regie: Patrice Leconte
Buch: Patrice Leconte, nach dem Stück von Florian Zeller
Darsteller: Christian Clavier, Carole Bouquet, Valérie Bonneton, Rossy de Palma, Stéphane De Groodt, Christian Charmetant
Länge: 79 Minuten
Verleih: DCM
Kinostart: 16. April 2015
 

FILMKRITIK:

Einen entspannten Samstag morgen möchte der Zahnarzt Michel Leproux (Christian Clavier) verbringen, er schlendert gemütlich über den Flohmarkt und findet aus heiterem Himmel genau die Jazz-Platte, die er schon seit Jahren gesucht hat. "Me, Myself and I" heißt die Platte des fiktiven Klarinettisten Neil Youart und der Titel ist Programm: Michels Leben dreht sich nur um ihn, Anliegen seiner Mitmenschen hört er sich zwar an, doch was in ein Ohr reinkommt ist schnell aus dem anderen wieder raus.

Zu Hause angekommen startet er den ersten Versuch, die Platte abzuspielen, doch über die ersten Takte wird er nicht hinauskommen. Zunächst ist es seine Frau Nathalie (Carole Bouquet), die unbedingt mit ihm reden möchte und von Michel schnell ins heiße Bad verfrachtet wird. Dann steht auch noch der missratene Sohn Sébastien (Sébastien Castro) vor der Tür, der wieder zu Hause einziehen will, da er seine Wohnung einer Gruppe vietnamesischer Flüchtlinge überlassen hat. Doch sein Kinderzimmer wird gerade umgebaut, dummerweise von einem angeblich polnischen Handarbeiter, der sich allerdings als Portugiese entpuppt, sein Handwerk aber nicht allzu gut versteht und die halbe Wohnung unter Wasser setzt. Und auch gleich noch die des Nachbarn, der eigentlich eine Hausparty geplant hatte, die nun kurzerhand bei Michel stattfinden muss. Und zu allem Überfluss verlangt auch noch Michels Geliebte Elsa (Valérie Bonneton) nach Aufmerksamkeit. Sie hat wegen ihrer Affäre Gewissensbisse, denn sie ist auch die beste Freundin von Nathalie. Die hat allerdings selbst ein großes Geheimnis.

Vor gerade einmal einem Jahr erlebte Florian Zellers Theaterstück „Eine Stunde Ruhe“ seine Uraufführung, nun kommt schon Patrice Lecontes filmische Adaption ins Kino. Eine verblüffende Dringlichkeit, denn das Stück des gerade einmal 35jährigen Zellers wirkt wie aus der Zeit gefallen. Abgesehen von der Benutzung von Mobiltelefonen gibt es keinen Anhaltspunkt, dass die Geschichte nicht auch schon in den 70er oder gar 50er Jahren hätte spielen können. Eher grobschlächtig sind die Situationen, in denen sich Michel verstrickt, eher schlicht – um es vorsichtig auszudrücken – die Zeichnung der Minoritäten, die in die gutbürgerliche Welt der französischen Oberschicht eindringen: die spanische Haushälterin hat überdimensionierte Gesichtszüge und benimmt sich wenig gesittet, Polen gelten als fleißige Handwerker, die vietnamesischen Flüchtlinge treten als vielköpfige Sippschaft auf, die im Zimmer kochen, aber immerhin eine höchst attraktive Tochter haben. Wenn man großzügig ist könnte man argumentieren, dass auch die Franzosen nicht allzu gut wegkommen, allen voran Michel, dessen Leben innerhalb von einer Stunde aus der Bahn gerät.

Gespielt und inszeniert ist das mit der nötigen Rasanz: Die Türen schlagen, die Fetzen fliegen, bisweilen kommt der Film für kurze Momente zur Ruhe, bevor die nächste Katastrophe über Michel und die Seinen hineinbricht. Künstlerisch ist das zwar weit von früheren Filmen Lecontes wie „Ridicule“ oder „Intime Fremde“ entfernt, aber als Boulevardkomödie funktioniert „Nur eine Stunde Ruhe“ durchaus.
 
Michael Meyns