NVA

Deutschland 2005
Länge: 98 Min.
Regie: Leander Haußmann
Mit: Kim Frank, Oliver Bröcker, Detlev Buck, Jasmin Schwiers u.a.
Verleih: Delphi
Start: 29.09.2005

Nach seinem Ausflug ins West-Berlin der späten 80er-Jahre mit „Herr Lehmann“ geht Regisseur und Autor Leander Haußmann die „Sonnenallee“ nun ein Stückchen weiter gen Heimat Osten und landet in der Fidel-Castro-Kaserne. Dort werden den jungen Wehrpflichtigen in den letzten Tagen des realexistierenden Sozialismus die Werte eingedrillt, an denen sie selbst schon lange zweifeln. Für den Zuschauer gerät das zu einer zartbitter-witzigen Reise in einen grotesken Mikrokosmos.

Mit seinem breitkrempigen Hut und den langen Haaren passt der junge Henrik bei der Ankunft in der Fidel-Castro-Kaserne sicher nicht in das Bild eines Genossen Soldaten und erinnert eher an einen romantischen Revolutionär á la Arlo Guthrie in „Alices Restaurant“ oder den jungen Bob Dylan. Auch die meisten anderen Wehrpflichtigen müssen nach der Ankunft erst auf Linie gebracht werden. Das ist in den ausgehenden 80er-Jahren nicht mehr so einfach, da die Identifikation mit den sozialistischen Errungenschaften der DDR, die es bei der NVA vor Angriffen von außen zu schützen galt, längst an der eigenen Lebensrealität gescheitert ist. Vielmehr möchte man die eineinhalb Jahre der Zwangswehrpflicht möglichst unbeschadet überstehen. Doch Oberst Kalt und seine Genossen haben ihre Methoden, die Neuankömmlinge auf Gardemaß zurecht zu stutzen. Besonders der sture Rebell Krüger, mit dem sich Henrik schnell anfreundet, bekommt das unangenehm zu spüren. So versucht sich jeder mit den Absurditäten eines überholten Systems zu arrangieren, was zu ganz unglaublichen, fast surrealen Situationen führt...

Das Militärleben als solches ist schon eine irrsinnige Angelegenheit. Das gilt auch über die NVA hinaus und in der filmischen Übersetzung kann man dem nur als Groteske wirklich gerecht werden. Leander Haußmann hat das erkannt und eine witzig-ironische Satire im Stile des amerikanischen Kinos der frühen 70er-Jahre geschaffen. Der elliptische dramaturgische Aufbau von NVA erinnert dabei stark an „M.A.S.H“. Haußmanns persönliche Erfahrungen bei der NVA fließen besonders über die Musik mit ein, die wohl nicht ohne Grund als Soundtrack seines Lebens in den Handel kommt und so schöne Hippie-Hits wie Creedence Clearwater Revivals „Bad Moon Rising“ und Cat Stevens’ „Oh Very Young“ enthält.

Nach Christian Ulmen in "Herr Lehmann" ist die Hauptrolle wieder mit einem Neuling im Schauspielfach besetzt worden: Kim Frank, bekannt als Leadsänger der Band "Echt", spielt den Wehrdienstpflichtigen Henrik, einen schüchternen Romantiker, der eigentlich gar nicht versteht, was um ihn herum passiert. Haußmann inszeniert ihn geschickt und mit Hang zur Selbstironie. Kaum eine Miene darf Kim Frank während des Films verziehen, als wenn er Buster Keaton Konkurrenz machen soll. Beim Antrittsappell wird ihm dann trotzdem in seiner Rolle vom Vorgesetzten befohlen, gefälligst ausdruckslos zu gucken.

So wird der Hauptakteur nicht nur zum notwendigen Katalysator für die Ereignisse, sondern dient als „supporting act“, besonders für den großartigen Oliver Bröcker als rebellischen Krüger und natürlich auch für die skurrilen Randfiguren. Regisseur und Schauspieler Detlev Buck darf als Oberst Kalt mal wieder so richtig den pflichtgetreuen Genossen mimen, der seine zarte Seite unter einer harten Oberfläche verbirgt. In dieser auf den Leib geschneiderten Rolle geht er sichtlich auf.

Pointenreich, witzig und mit Sinn fürs Detail inszeniert, entführt NVA den Zuschauer in einen grotesken Mikrokosmos, den es so oder so ähnlich tatsächlich mal gegeben hat und der die bittersüße Essenz von all jenen Dingen ist, die heute so gerne als Ostalgie bezeichnet werden.

Eric Horst

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Auch in seiner nach Sonnenallee und Herr Lehmann dritten Regiearbeit, begibt sich Theater- und Filmregisseur Leander Haußmann in die späten 80er Jahre. Doch der Versuch im Rahmen einer satirischen Komödie über das Leben in der Nationalen Volksarmee eine Metapher für den Stillstand und Zerfall des DDR-Regimes zu finden, scheitert am zerfahrenen Drehbuch und wenig originellen Klischees. Mit Abstand der schwächste Film des Regisseurs.

Ende der 80er Jahre wird der schöngeistige, sensible Henrik (Kim Frank, ehemalige Popstar und Sänger der Teenie-Band Echt, in seiner ersten Hauptrolle) in die Fidel Castro Kaserne eingezogen. Schnell freundet er sich mit Krüger (Oliver Bröcker) an, ein Kaugummi kauender, langhaariger Rebell, der sich dem Kasernenhofton auf keinen Fall unterordnen will. Die spießigen, bürokratischen Militärs, (allen voran Detlev Bucks als Oberst Kalt, eine Paraderolle für den Regisseur und Schauspieler) mühen sich um Ordnung, doch so recht durchzusetzen vermögen sie sich nicht.

Das Leben in der Kaserne läuft ab, wie man es in unzähligen Kasernenfilmen schon gesehen hat: Die Zimmerältesten schikanieren die Neuankömmlinge, diese vermissen ihre zu Hause (hoffentlich) auf sie wartenden Freundinnen, der Drill ist hart und bisweilen absurd (da wird einem Soldaten etwa befohlen doch Bitte etwas ausdrucksloser zu gucken), aber die Rekruten verbindet bald eine innige Freundschaft. Man kann zwar davon ausgehen, dass Haußmann und sein Co-Autor Thomas Brussig die Besonderheiten der DDR-Armee eingehend recherchiert und präzise wiedergegeben haben, doch vor diesem Hintergrund eine Geschichte zu entwickeln gelingt ihnen nicht. Allzu szenisch läuft der Film ab, in Momenten zwar satirisch und komisch, aber eben nie in eine überzeugende Entwicklung gebettet.

Bei einem Manöver lernt Henrik zwar die hübsche Marie (Jasmin Schwiers) kennen, doch Substanz gewinnt die Geschichte dadurch nicht. Mögliche Konflikte werden entweder nur angedeutet oder lösen sich innerhalb von Minuten in Wohlgefallen auf. Besonders absurd etwa ein Handlungsstrang, der den rebellischen Krüger in eine Strafeinheit führt. Wochen später ist aus dem Freidenker ein Mustersoldat geworden, der nicht zufällig an den manischen Gomer Pyle aus Stanley Kubricks Full Metal Jacket erinnert, ein Film, der mit seinen Kasernen-Szenen und seiner satirischen Darstellung der Absurdität militärischem Drills offensichtliches Vorbild Haußmanns war. Doch es bleibt bei einem ansatzweise verstörenden Moment. Fünf Minuten später wird Krüger von seiner Freundin umarmt und ist wieder ganz der Alte.

Eine potentiell interessante Ausgangslage wird so zu einem zwar in Momenten pointierten Kasernenfilm, mit einigen treffenden Schilderungen der letzten Monate der DDR, wirklich gelungen ist Leander Haußmanns dritte Regiearbeit jedoch nicht. Aber immerhin verzichtet er dieses Mal darauf symbolisch die Mauer fallen zu lassen. Stattdessen explodiert im Finale ein Wachturm einschließlich Zaun. Das passende Ende für einen an Subtilität und Originalität armen Film.

Michael Meyns