Oeconomia

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Es ist eine einfache Frage, die den Grundstein dieses Dokumentarfilms bildet und einige Ökonomen vor die Schwierigkeit stellt, eine wirklich befriedigende Antwort zu geben: „Woher kommt das Geld eigentlich?“ In der Ultima Ratio ist die Antwort auch einfach: Es wird geschöpft. Oder anders: Es entsteht bei der Europäischen Zentralbank aus dem Nichts heraus. In ihrem Dokumentarfilm „Oeconomia“ betrachtet Carmen Losman unser Wirtschaftssystem und kommt zu einem erschreckenden Ergebnis.

Website: www.oeconomia-film.de

Deutschland 2020
Regie: Carmen Losmann
Länge: 89 Minuten
Verleih: Neue Visionen
Kinostart: 15. Oktober 2020

FILMKRITIK:

Der Film ist ausgesprochen komplex, weil er sich mit einem Thema befasst, das ebenfalls sehr komplex ist. Er zeigt die Spielregeln auf, nach denen der Kapitalismus funktioniert. Profit macht man nur, wenn Schulden gemacht werden. Das gilt für Staaten, aber auch für Privathaushalte. Wenn nicht genügend Leute Schulden machen, gibt es nicht genug Gewinne. Gibt es keine Gewinne, gibt auch niemand Kredite aus. Das Wirtschaftssystem ist zu einem gefährlichen Kreislauf geworden, an dessen Ende es keine Gewinner geben kann.

Denn der Profit von heute wird zu den Schulden von morgen, so am Ende die bittere Erkenntnis. Aber nicht nur das. Losmann gelingt es in ihrem faszinierenden Film auch aufzuzeigen, dass zwei Systeme im krassen Kampf miteinander liegen. Die Ökonomie auf der einen Seite, der Kapitalismus auf der anderen – eines von beiden wird unweigerlich irgendwann zusammenbrechen. Die Frage ist nur,welches? Und wann?

Das Wirtschaftssystem ist zu einer Art Nullsummenspiel geworden, weil jeder Gewinn auch neue Schulden bedeutet. Es ist ein Kettenbriefsystem, das solange funktioniert, bis es nicht mehr funktioniert. Es ist eindrucksvoll zu sehen, wie Experten auf diesem Gebiet ins Schlingern kommen, wenn Losmann einfache Fragen stellt. Irgendwie ist es auch beängstigend, weil wir alle uns in der Spirale des ewigen Wachstums befinden, wohlwissend, dass nichts ewig wachsen kann.

Ein Beispiel aus dem Film: Wenn man ein Stück Wald kaufen will, aber vorhat, es zu belassen, wie es ist, bekommt man keinen Kredit. Weil der Kreditgeber kein Profitpotenzial bei dieser Investition sieht. Will man den Wald aber bewirtschaften, also zumindest Teile abholzen, dann bekommt man den Kredit. Um den Preis von Schulden und Profit – und der Vernichtung des Lebensraums. „Oeconomia“ hat also auch eine Umweltschutzbotschaft, in erster Linie versucht der Film aber aufzuzeigen, in was für einem vertrackten System die Welt gefangen ist. Weil sich scheinbar niemand Gedanken über Alternativen macht, sondern jeder die Tretmühle noch antreibt.

Irgendwann muss der Kollaps folgen. Die Frage ist nur: wann? Einer derjenigen, mit denen Losmann gesprochen hat, hat hier fast das letzte Wort, als sie wissen will, an welchem Punkt wir uns in Hinblick auf den kommenden Kollaps befinden. Genau kann das natürlich niemand sagen, er erklärt jedoch, wenn man das Ganze als Fußballspiel sehen würde, dann wären wir bereits gut in der zweiten Spielhälfte, aber noch nicht im letzten Viertel. Noch kann also etwas passieren. Aber das wird es nicht. Weil das Wirtschaftssystem zu einem Moloch geworden ist, der sich selbst befeuert. Ein Spiel, aus dem niemand aussteigt. Bis es keine andere Wahl mehr gibt.

Peter Osteried