Offenes Geheimnis

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Der iranische Regisseur Asghar Farhadi sorgte mit seinen letzten Werken für internationales Aufsehen. Mit „Offenes Geheimnis“ – im Original: „Everybody Knows“ – durfte er dieses Jahr sogar das renommierte Filmfestival von Cannes eröffnen. Darin schildert er eine dramatische Entführung auf ganz ungewohnte Weise, indem er diese lediglich zum Anlass nimmt, in die charakterlichen Untiefen einer Familie vorzudringen und auf in seiner eigenen ruhigen, beklemmenden Weise Abgründe, Geheimnisse und Lebenslügen zu sezieren.

Webseite: www.OffenesGeheimnis-derFilm.de

Frankreich/ Spanien/ Italien 2018
Regie & Buch: Asghar Farhadi
Darsteller: Penélope Cruz, Javier Bardem, Ricardo Darín, Eduard Fernández, Bárbara Lennie, Inma Cuesta, Elvira Mínguez, Ramón Barea, Carla Campra,
Länge: 133 Minuten
Verleih: Prokino
Kinostart: 27. September 2018

PRESSESTIMMEN:

„Packend und brillant inszeniert.“ Süddeutsche Zeitung

 „Eine dramatische, packende Familiengeschichte, voller dunkler Geheimnisse.“ ARD Tagesthemen

„Es geht um verschwiegene Wahrheiten, um alte Verletzungen, nie verziehene Taten… Die Bilder, die Farhadi zeichnet, sind meisterhaft.“ ZDF heute

„Eine subtile Mischung aus Thriller und Gesellschaftsanalyse.“ 3SAT Kulturzeit

FILMKRITIK:

Anlässlich der Hochzeit ihrer Schwester Ana (Inma Cuesta) reist Laura (Penélope Cruz) von Buenos Aires in ihr spanisches Heimatdorf, wo in wenigen Tagen ein rauschendes Fest steigen soll. Auch Paco (Javier Bardem) ist hier. Mit ihm verbindet sie nicht bloß ihre erste große Liebe, sondern auch einen viele Jahre zurückliegenden Geschäftsdeal, bei dem Laura ihre Anteile vom Familienerbe an ihn verkaufte. Doch darum soll es dieser Tage nicht gehen. Auch nicht um den Neid und die Missgunst gegenüber Paco, der ein gut laufendes Weingut betreibt. Doch am Ende kommt alles anders. Als plötzlich Lauras Tochter spurlos verschwindet und alle Spuren darauf hindeuten, dass sie sich in den Händen brutaler Verbrecher befindet, sind alle persönlichen Fehden für einen Moment unwichtig. Es zählt nur noch, das Mädchen wiederzufinden. Oder hängen die Spannungen innerhalb der Familie und die Entführung irgendwie zusammen..?

In den Filmen von Asghar Farhadi („Nader und Simin“, „Le passé“, „The Salesman“) geht es nie ausschließlich um ein Konflikt. Stattdessen ist die eigentliche Prämisse grundsätzlich eingebettet in die Studie einer bestimmten Klientel, einer Gesellschaft oder eines Landes. So ist auch „Offenes Geheimnis“ nur vordergründig ein Entführungsthriller. Blickt man hinter die Fassade, so offenbart sich einem eine niederschmetternde Familienchronik, in welcher Probleme und Konflikte viele Jahrzehnte über verschleppt, nicht ausgesprochen und schließlich auch totgeschwiegen werden, bis sie innerhalb weniger Tage allesamt ans Licht kommen. Dieser brodelnde emotionale Mix bildet die erzählerische Grundlage von „Offenes Geheimnis“, worauf Farhadi schließlich einen zwar weitgehend überraschungsarmen, jedoch jederzeit stimmigen und intensiv bebilderten Entführungsplot ausbreitet. Durch die erzählerische Umgebung wird hier jeder zum Verdächtigen. Die möglichen Gründe für die Entführung sind vielfältig und je weiter der Film voranschreitet, desto mehr verstrickt er sich gemeinsam mit seinen Hauptfiguren in Widersprüche. Es ist ein Netz aus Lügen und Geheimnissen, durch das man nur ganz langsam steigt, bis sich am Ende jedes noch so kleine Detail an seine richtige Stelle fügt.

Auch wenn es Penélope Cruz („Mord im Orient Express“) als aufopferungsvolle und zutiefst besorgte Mutter hin und wieder mit ihrem Spiel übertreibt, bildet sie mit Javier Bardem („mother!“) als ihre ehemalige Jugendliebe und immer noch enger Vertrauter ein stimmiges und sich tonal größtmöglich voneinander unterscheidendes Hauptdarstellerpaar. Während Laura die Suche nach ihrer Tochter zunächst auf den oberflächlichen Part beschränkt und vor allem nach Tätern von außen sucht, ermittelt Paco bald auch in inneren Kreisen und macht es dadurch ebenso schnell glaubwürdig, dass die Kidnapper familienbezogene Wurzeln haben. Mit seiner betont nüchternen Inszenierung, von der sich die bisweilen regelrecht hysterisch aufspielende Cruz umso stärker abhebt, verankert Farhadi das Geschehen so gut es geht im Hier und Jetzt der Realität. Vielleicht ein Wink mit dem Zaunpfahl: in jeder Familie liegen schließlich irgendwelche Leichen im Keller.

Antje Wessels

Die Spanierin Laura (Penelope Cruz) lebt seit Jahren in Argentinien, wo sie Alejandro (Ricardo Darin) geheiratet hat. Anlässlich der Hochzeit ihrer Schwester kehrt sie in ihre Heimat zurück, genauer gesagt in eine kleine Ortschaft in der Provinz, in der jeder jeden zu kennen scheint. Dementsprechend ist die Hochzeit das Ereignis des Tages, die unterschiedlichsten Gäste tauchen auf, unbekannte und bekannte Gesichter.
 
Auch Paco (Javier Bardem) ist anwesend, einst Lauras große Liebe, der inzwischen eine Finca betreibt und glücklich verheiratet ist. Doch die Spannung zwischen ihm und Laura ist vom ersten Moment an zu spüren und wird durch das unerhörte Ereignis noch verstärkt, das die eigentliche Geschichte in Gang setzt: Während der Hochzeitsfeierlichkeiten ist plötzlich Lauras halbwüchsige Tochter Irene (Carla Campra) verschwunden. Schnell wird aus dem freudigen Fest eine fiebrige Suche, doch der schlimme Verdacht bestätigt sich: Laura wurde entführt.
 
Was nun folgt ist klassisches Farhadi-Kino: Wie er es schon in „About Elly“, „The Salesman“ und vor allem in seinem Meisterwerk und Gewinner des Goldenen Bären „Nader und Simin – Eine Trennung“ durchexerziert hat, entfaltet sich ein immer dichter werdendes Geflecht aus Misstrauen und Verdachtsmomenten. Wie beim Häuten einer Zwiebel entfernt Farhadi eine Ebene nach der anderen, führt die Geschichte in immer neue (Un)-Tiefen, mit dem großen Unterschied, dass in diesem Fall nicht so viel zurückbleibt, wie bei seinen besten Filmen.
 
Ein Grund mag sein, dass er wie in „Le Passé-Das Vergangene“ in einem fremden Land, einer fremden Kultur gedreht hat. Hatte er in jenem in Frankreich entstandenen Film immerhin noch eine iranische Figur in den Mittelpunkt gestellt, ist „Everybody Knows“ durch und durch spanisch. Gerade in den Anfangsszenen, wenn er in beobachtenden Momenten das breite Figurengeflecht einführt, wirkt es dann auch so, als würde Farhadi auf eine ihm unbekannte Welt blicken, auf Riten und Traditionen, die er nur bedingt versteht. Die Dichte, die Authentizität der Darstellung von sozialen Situationen, von Familienstrukturen und gesellschaftlichen Konventionen, die seine iranischen Filme ausgezeichnet haben fehlt hier.
 
Natürlich sind gerade Cruz und Bardem, aber auch der Rest des Cast als Schauspieler überzeugend genug, um über diese Momente hinweg zuspielen, bis mit der Entführung der Tochter das Geschehen an Fahrt gewinnt. Immer neue Ebenen offenbart Farhadi nun, dreht die Geschichte mit kleinen (und diesmal auch größeren, an Soap Operas erinnernden) Enthüllungen immer weiter und erzählt damit einmal mehr von großen Themen: Um Vorurteile geht es, lange zurückliegende, aber nie wirklich geklärte Ereignisse, um Schuld und Ehre. Schlecht ist das nie, dafür ist Farhadi ein viel zu guter, ein viel zu souveräner Regisseur, dennoch wirkt „Everybody Knows“ nie so frisch, so dicht, so emotional wie seine besten Filme. Das mag an der fremden Sprache liegen, in der gedreht wurde, an der fremden Kultur, die trotz aller universellen Elemente eben doch eine ganz andere ist, als die iranische, vielleicht auch einfach daran, dass Farhadi seinen typischen Stil, den er nun schon seit Jahren pflegt, einfach nicht genug weiterentwickelt hat.
 
Michael Meyns