On The Beach At Night Alone

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Hong Sang-soos „On The Beach At Night Alone“ erzählt still und in einem ganz eigenem, ständig von Hauptdarstellerin Kim Min-hee modulierten Rhythmus von einer Frau, die nach einer Affäre wieder einen Platz für sich selbst, ihre Karriere und die Liebe sucht.

Webseite: grandfilm.de

Südkorea 2017
Buch & Regie: Hong Sang-soo
Darsteller: Kim Min-hee, Seo Younghwa, Kwon Haehyo, Song Seonmi
Verleih: Grandfilm
Kinostart: 25. Januar 2018

FILMKRITIK:

Young-hee (Kim Min-hee) liegt am Strand und träumt. Eingepackt in ihrem Mantel liegt sie neben einer selbstgebauten Sonnenuhr. Die Ruhe hält nur so lange, bis ein Fremder sie aus dem Schlaf reißt – aus Angst, sie könne am Strand erfrieren. Ob das, was der Film vorher zeigte, wirklich nur ein Strandtraum war, bleibt unklar. Wie so erzählt Regisseur Hong Sang-soo hier nicht konkret und linear, sondern wiederholt, variiert und zerstreut die Ereignisse seines Films. Sein Kino ist auch in „On The Beach At Night Alone“ immer gleich und jedes Mal anders. Mit Wiederholungen, Leerstellen und Variationen formt Hong Wahrheit und Objektivität zu etwas um, das man ein Abbild der Erinnerung nennen könnte, die mit jeder kleinen Modulation eine neue Ebene zu gewinnen scheint. So wird Young-hee im Filme dann auch gleich noch ein zweites Mal aus ihrem Traum geweckt. Doch diesmal gesellt sie sich nicht zu dem Fremden, sondern lässt ihn stehen und wandert zielstrebig und irgendwie doch nicht ganz im Wachzustand angekommen davon.

Kim Min-hee geht in „On The Beach At Night Alone“ ihren ganz eigenen Weg. Unbeirrt erkundet sie die Welt des Films. Das beginnt in Hamburg, wohin sie sich nach Gerüchten um eine Liebesaffäre mit einem verheirateten Regisseur flüchtet. Tatsächlich verliebten sich Kim und der verheiratete Hong bei den Dreharbeiten zum Vorgängerfilm „Right Now, Wrong Then“ und lösten damit in Korea einen Skandal aus. Was oft zur nervigen und eitlen Selbstreferenz wird, inszeniert Hong mit leichter, aber nie aufdringlicher Selbstironie in der Hansestadt. Hier hängt Kim als Young-hee lässig über dem Balkon, legt die Finger ebenso elastisch um ihre Zigarette, genießt den Stadtpark, das süße Leitungswasser und schafft es letztlich doch nicht mit den Hanseaten und ihrer neuen Heimat warm zu werden. So endet ihr Hamburg-Besuch, und damit auch der erste Teil des Films, mit einem Ausflug an den Elbstand, bei dem Young-hee einfach von einem Fremden aus dem Bild geklaut wird, während die Kamera einmal kurz zur Seite blickt.

Doch ohne Young-hee/Kim Min-hee kann dieser Film eben nicht weiter existieren und so findet er sie (wo auch sonst?) im Kino wieder. Diesmal nicht in Hamburg, sondern in Korea, wo der zweite Teil des Films spielt. In der Heimat lauern an jeder Ecke Konfrontationen mit der Vergangenheit. Alte Freunde, Bekannte und potenzielle und ehemaliger Liebhaber: jeder scheint Young-hee unverhohlen zu vergangenen und neuen Liebschaften befragen zu müssen. Doch die Protagonistin entzieht sich den klaren Antworten, so wie der Film sich eben der objektiven Eindeutigkeit entzieht, die es in Liebesfragen ohnehin nicht gibt. So kommt es – und auch das ist ein unverzichtbares Motiv bei Hong – zu einer Reihe von wunderbar unbehaglichen Gesprächen, in denen ihre alten Freunde Young-hee zwischen Kaffee, Zigarette und zu viel Soju auf die Pelle rücken. Doch die lässt die aufdringlichen Männer gerne einmal wissen, wie alt sie doch aussehen; spricht ihnen die Berechtigung des Liebens ab oder ignoriert sie einfach, wie einen Fensterputzer, der neben ihr hektisch die Schlieren auf der Scheibe verteilt, durch die sie auf den Ozean hinausblickt.

Nie wirkt Young-hee dabei affektiert oder bösartig. Ihre widerspenstige Eigenwilligkeit schmiegt sich perfekt an die Ambivalenz des Films. Den schönsten Ausdruck dafür bietet einer der wenigen Einsätze von Filmmusik, der von der Protagonistin selbst auf einem kleinen E-Piano einspielt und später von einem kleinen Singsang in der Zigarettenpause komplettiert wird. Die Liebe findet hier ihren ganz eigenen melancholischen Rhythmus. Der gleiche Rhythmus, mit dem Kim Min-hee dann auch die Vergangenheit hinter sich lässt, als sie verträumt am Strand davon wandert. So verlässt sie dann auch den Film: nach ihren eigenen Regeln, ohne dass sie jemand klauen könnte.“

Karsten Munt