Zuletzt wurden zwei Dokumentarfilme mit dem Goldenen Bären der Berlinale ausgezeichnet, in den Jahren davor oft dezidiert politische Filme. In diesem Jahr ging der wichtigste Preis des Festivals dagegen an den norwegischen Film „Oslo Stories: Träume“, von Dag Johan Haugerud, einen geradezu zeitlosen Film, der sich auf ebenso komplexe wie verspielte Weise mit einer ersten großen Liebe und ihren Konsequenzen beschäftigt.
Drømmer
Norwegen 2024
Regie & Buch: Dag Johan Haugerud
Darsteller: Ella Øverbye, Selome Emnetu, Ane Dahl Torp, Anne Marit Jacobsen, Andrine Sæther, Ingrid Giæver, Lars Jacob Holm
Länge: 110 Minuten
Verleih: Alamode
Kinostart: 8. Mai 2025
FILMKRITIK:
Schon ihre Namen sind fast identisch, nur durch einen unterschiedlichen Buchstaben getrennt. Ist es also Schicksal, was ihr passiert? Oder ist es nur ihr durch die Lektüre vieler Liebesromane geschulter Geist, der ihre Phantasie beflügelt: Später wird die damals 17jährige Johanne (Ella Øverbye) über ihre Emotionen reflektieren, in einem längeren Text, den sie schreibt, um die Erinnerung an ihre erste große Liebe zu bewahren.
Ihre neue Lehrerin Johanna (Selome Emnetu) tritt in ihr Leben, unterrichtet Literatur und Kunst, wirkt viel offener, jünger, interessanter als es Lehrer*Innen sonst tun. Vor allem als Künstlerin versteht sich Johanna, die sich von der Aufmerksamkeit ihrer Schülerin geschmeichelt fühlen mag, sie einlädt, ihr das Stricken der Pullover und Schals beizubringen, die sie selbst fast täglich anhat.
In viele Richtungen könnte sich diese Geschichte entwickeln, von Machtmissbrauch oder gar sexuellen Übergriffen erzählen, doch dem norwegischen Regisseur Dag Johan Haugerud geht es um anderes. Parallel zu seiner Karriere als Filmregisseur veröffentlicht Haugerud auch Romane, nicht zuletzt deswegen scheint es naheliegend, seinen Film als literarisch zu bezeichnen. Lange Zeit sind in „Oslo Stories: Träume“ kaum Dialoge zu hören, sondern nur das Voice Over von Johanne. Sie erzählt im Rückblick die Geschichte ihrer Begegnung mit Johanna, berichtet von einer Anziehung, die sie noch nicht kannte, beschreibt das Begehren, auch die Irrwege, auf die sie dieses vielleicht nicht unbedingt verbotene, aber doch nicht wirklich zukunftsfähige Begehren führte.
Irgendwann hat sie es in Worte gefasst, auf den Rat ihrer Großmutter Karin (Anne Marit Jacobsen), selbst eine erfolgreiche Autorin, die allerdings seit langem keinen Roman mehr veröffentlicht hat. Sie wird die erste Leserin von Johannes Text, bald wird sie ihn auch ihrer Tochter, Johannes Mutter Kristin (Ane Dahl Torp) geben.
Auf die wirken die Beschreibungen ihrer Tochter zunächst wie das unfreiwillige Geständnis eines sexuellen Übergriffes, später wie das Werk einer sehr talentierten Autorin. Haugerud spielt mit solchen Verschiebungen der Perspektiven, öffnet seinen Filmen langsam und auf komplexe Weise. Nicht mehr ausschließlich Johanne ist es bald, die von ihrem Leben berichtet, sondern bald ihre Mutter und Großmutter, die auf ihre Erlebnisse blicken und sie beurteilen, allerdings mit ganz anderen Kriterien, auch moralischen, als Johanne sie hat.
Viele Themen werden angerissen, die Verantwortung der Lehrerin etwa, der einerseits von der Mutter vorgeworfen wird, Johannes zunehmende Verliebtheit nicht früher erkannt und abgeblockt zu haben, die andererseits auch selber ein wenig überrumpelt wirkt, als ihr offenbart wird, das sie nun literarische Gestalt in einem Text von Johanne wird.
Auch wenn sich der Ansatz Haugeruds akademisch anhören mag, könnte das filmische Ergebnis nicht weiter von einem trockenen Film entfernt sein. Der dritte Teil einer losen Trilogie aus Filmen, die vor allem durch den Schauplatz Oslo verknüpft sind, überzeugt als leichtes Spiel über Themen, die auch schwer, um nicht zu sagen prätentiös verhandelt werden könnten. Unterschiedliche Auffassungen über die Form von Feminismus, #metoo, künstlerische Ambitionen, aber vor allem die zarten Gefühle einer ersten großen Liebe: Mit großer Leichtigkeit und geschliffenen Dialogen führt Dag Johan Haugerud diese Themen in „Oslo Stories: Träume“ zusammen, ein mehr als verdienter Gewinner des Goldenen Bären.
Michael Meyns