Die liebenswürdige Filmbiographie über den großen italienischen „Cantautore“ bringt nicht nur ein Wiedersehen mit vielen seiner Songs und Weggefährten wie Isabella Rossellini und Roberto Benigni, sondern auch Einblicke in seine Persönlichkeit. Vom gelernten Juristen zum gefeierten Bühnenstar – das ungewöhnliche Leben des Paolo Conte steht hier weniger im Mittelpunkt als die Essenz seines Schaffens: die Leidenschaft für die Musik und speziell für den Jazz.
Webseite: www.prokino.de
Dokumentarfilm
Italien 2020
Drehbuch und Regie: Giorgio Verdelli
mit: Roberto Benigni, Isabella Rossellini, Luca Zingaretti, Jane Birkin und vielen anderen
Kamera: Federico Annicchiarico
Musik: Paolo Conte
Länge: 100 Minuten
Verleih: Prokino
Kinostart: 16.09.2021
FILMKRITIK:
Ein winziger, alter Fiat Topolino fährt gemächlich durch alte Alleen, gesäumt von Weinbergen, umrahmt von sanften Hügeln. Dazu erzählt Paolo Conte vom Songschreiben als Landschaftsbeschreibung. Das kleine, rote Auto dient dem italienischen Regisseur Giorgio Verdelli als sprichwörtlicher roter Faden: Der „Topolino amaranto“ aus dem gleichnamigen Songs von Paolo Conte begleitet das Publikum durch die Filmbiographie des menschenscheuen „Cantautore“.
Der Sohn einer wohlhabenden Juristenfamilie aus Asti wurde 1937 geboren und fühlt sich schon sehr früh zur Musik hingezogen und spielt schon als Kind Piano. Der junge Paolo begeistert sich besonders für Jazz, vor allem für Swing und Dixieland. Gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Giorgio spielt er in verschiedenen Bands. Er lernt Posaune und Vibraphon, arrangiert Songs, schreibt selbst welche … und er studiert Jura. Nach dem Uni-Abschluss tritt er in die Fußstapfen seines Vaters und arbeitet in dessen Notariat in Asti mit. Erst in den 70er Jahren gibt Paolo Conte die ungeliebte Juristerei auf und wendet sich ganz der Musik zu. Zwar gelingt ihm mit mit dem Song „Azzurro“, den er für Adriano Celentano schreibt, im Jahr 1968 sein erster weltweiter Hit – das Lied wird zur zweiten italienischen Nationalhymne – doch bis Paolo Conte seine ersten Soloauftritte hat, dauert es noch ein paar Jahre. Aber irgendwann ist es so weit, und da sitzt er nun am Piano: ein eleganter, chevaleresker Herr im wahrsten Sinne des Wortes, ein italienischer Gentleman, die unvermeidliche Zigarette im Mundwinkel. Offensichtlich ein Mann von Welt, der sich mal kurz auf die Bühne verirrt hat. Doch sobald er mit seiner Reibeisenstimme zu singen beginnt, sobald der jazzige Sound seiner Songs von der Bühne weht, wird er zum leidenschaftlichen Künstler. Mit Piano und Kazoo erobert er die großen Konzerthäuser der Welt und perfektioniert seinen eigenen, ganz unnachahmlichen Stil: Jazz à la Italienitá …
Dafür muss er nicht viel tun, er ist alles andere als ein Showman, spielt scheinbar beiläufig Klavier, als ob er in seinem Wohnzimmer sitzt, und manchmal steht er auf, stellt sich neben den Flügel, singt und spielt Kazoo und schafft damit auch im größten Saal eine beinahe intime Atmosphäre. Heute wird er mit Tom Waits und Randy Newman verglichen. Die von ihm selbst interpretierten Songs sind immer ein bisschen geheimnisvoll: spröde und trotzdem eingängig, der Scat-Gesang gehört dazu und natürlich seine liebenswert raubautzig kratzige Stimme. Paolo Contes Texte sind oft auf eine lässige Weise poetisch, gelegentlich ironisch – mit einem sehr diskreten Humor, eher feinsinnig als rumpelig. Als Musiker wie als Mensch scheint Paolo Conte keinesfalls zu der Fraktion zu gehören, die mit der Wurst nach der Speckseite wirft. Er gilt als medienscheu, reißt sich nicht darum, im Mittelpunkt zu stehen, und er hat es auch nicht nötig.
Umso mehr ist Giorgio Verdellis Filmbiographie zu würdigen, denn es gelingt ihm, ein wenig von der Essenz einzufangen, die Paolos Conte Persönlichkeit und sein Schaffen bestimmt: die Poesie seiner Lyrics, der Schwung seiner Musik, die Leidenschaft für den Jazz – all das erfüllt den Film mit Schlichtheit und Eleganz und Lebensfreude, wie man sie vielleicht noch am ehesten an einem lauen Sommerabend in der Trattoria einer italienischen Kleinstadt findet.
Verdellis Film ist natürlich vor allem eine Hommage an den großen Künstler. Der dunkelrote Topolino als Begleiter durch den Dokumentarfilm steht für die ständigen, freundlichen Bezüge zu Songs des Meisters und für seine Entwicklung. Verdelli nimmt Paolo Contes Biographie als Rahmen, der die Chronologie des Films bestimmt, aber da ist kein Abarbeiten von Stationen oder eine strenge, feste Dramaturgie. Alles bleibt leicht und locker, scheint sich wie zufällig zu entwickeln: die Gespräche mit den mehr oder weniger prominenten Weggefährten, von denen der temperamentvolle Roberto Benigni einer der wichtigsten ist. Jane Birkin findet ihn sexy, Isabella Rossellini schätzt seinen Sinn für Humor ebenso wie seine Melancholie. Daneben kommen auch viele Persönlichkeiten zu Wort, die in Deutschland weniger bekannt sind – aus der italienischen Musik- und Kunstszene, denn Paolo Conte, das Multitalent, ist inzwischen auch ein geschätzter Maler geworden.
Viele Songs werden angespielt und bieten eine kleine Zeitreise in die Welt der Popmusik. Alte TV- und Filmausschnitte zeigen, wie sich die Musik und ihre Performance geändert hat. Adriano Celentano singt Azzurro in einer dermaßen abstrusen Studiodekoration inklusive eines bizarren Fernsehballetts, dass man plötzlich versteht, warum Paolo Conte selbst auf die Bühne gehen wollte. Der Grandseigneur der Italienitá ist mittlerweile selbst ein Klassiker geworden. Die Welt hat sich in den letzten 50 Jahren verändert – er bleibt sich treu. Und offenbar raucht er nicht mehr.
Gaby Sikorski
Anm.d.Red.: In der ursprünglichen Textfassung wurde angemerkt, dass die Songs im Film leider nicht übersetzt werden. Dies ist in der OmU-Fassung jedoch jetzt der Fall. Wir haben den Textabschnitt entsprechend entfernt.