Die Kultur der Roma ist eine orale und patriarchale. Dementsprechend schwer hat es die Dichterin Papusza, deren Werke zwar in Polen große Berühmtheit erlangt haben, in ihrer eigenen Gesellschaft jedoch auf Skepsis und gar Ablehnung stießen. In ihrem Film „Papusza“ zeichnen die Regisseure Joanna Kos-Krauze und Krzysztof Krauze den Lebensweg dieser beeindruckenden Frau nach und geben dem Kinopublikum gleichzeitig tiefe Einblicke in die Welt der Roma.
Webseite: www.kairosfilm.de
Polen, 2013
Regie und Drehbuch: Joanna Kos-Krauze, Krzysztof Krauze
Darsteller: Jowita Miondlikowska, Antoni Pawlicki, Joanna Niemirska, Artur Steranko
Filmlänge: 131 Minuten
Verleih: Kairos
Kinostart: 7. Mai 2015
Pressestimmen:
"Ein bewegender Film, nonlinear und in leuchtemdem Schwarzweiß erzählt."
KulturSPIEGEL
FILMKRITIK:
Als junges Mädchen wird Papusza (Jowita Miondlikowska) an einen deutlich älteren Mann zwangsverheiratet, doch sie kann ihm keine Kinder gebären. Dass sie als einzige in der reisenden Gemeinschaft lesen und schreiben kann, macht dies nicht besser. „Hättest Du mal lieber gelernt, wie man Kinder bekommt“, beschimpft sie ihr Ehemann. Einzig der Pole Jerzy Ficowski (Antoni Pawlicki), der sich in der Roma-Gruppe für zwei Jahre vor der Polizei versteckt, erkennt das Talent der jungen Frau. Er ist es auch, der einige Jahre später ihre Gedichte sowie eine Abhandlung über die Roma veröffentlicht, inklusive dem ersten Wörterbuch der Roma-Sprache. Die Gemeinschaft fühlt sich von Papusza verraten und reagiert mit Aggression gegen die Dichterin. Von Familie und Freunden verstoßen, droht sie an ihrem eigenen Talent zu zerbrechen.
In malerischen schwarz-weiß Aufnahmen erzählt das Ehepaar Joanna Kos-Krauze und Krzystof Krauze Papuszas Geschichte in Rückblicken, ausgehend von einer gefeierten musikalischen Interpretation ihrer Werke auf einer polnischen Bühne. Die Künstlerin bestreitet, die Urheberin der Texte zu sein. Es handele sich um ein Missverständnis. In den folgenden zwei Stunden bietet „Papusza“ die Herleitung dieser Reaktion, erklärt die Ablehnung der Werke durch ihre Schöpferin. Trotz kleinen Budgets gelingt es den Filmemachern, den Zuschauer mit einer glaubwürdigen Ausstattung in die verschiedenen Epochen des 20. Jahrhunderts zu entführen. Die Schwarz-weiß-Ästhetik und wohlkomponierten Bilder sind gut durchdachte Kunstgriffe. „Papusza“ versucht kein realistischer Historienfilm zu sein, sondern steht zu seiner Melodramatik, und es ist ebene jene Kohärenz und Ehrlichkeit, aus der das Konzept trotz all seiner Romantisierung der Ereignisse letztlich Überzeugungskraft gewinnt.
Bis auf die Hauptdarsteller sind die Rollen mit Roma-Laiendarstellern besetzt, was dem Film Authentizität verleiht. Die große Präsenz ihrer musikalischen Kultur komplettiert schließlich das Bild einer für viele Zuschauer fremden Welt.
„Papusza“ ist also nicht nur ein Film über eine bemerkenswerte Dichterin, sondern auch über die Gemeinschaft der Roma. Die Filmemacher verleihen tiefe Einblicke in ihre Traditionen und verhelfen damit zum Verständnis der heutigen Roma-Gesellschaft sowie zum Abbau von Vorurteilen. „Papusza“ begleitet die Protagonisten durch die Verfolgung während des Zweiten Weltkriegs und die Zwangsansiedlung sowie die daraus resultierenden Probleme und Identitätskrisen. Bei all dem bleibt die Perspektive deutlich die eines Außenstehenden. So wirken die Handlungen von Jerzy Ficowski beispielsweise stets nachvollziehbarer als die der Roma, die sich durch das Festhalten an ihren Traditionen zu oft selbst ein Bein stellen. Ihr Leben als Nomaden wird insbesondere in der ersten Hälfte des Films stark romantisiert, wodurch ein nahezu klischeehafter Kontrast zu ihrer tristen Existenz nach der Ansiedlung und „Integration“ in die polnische Gesellschaft entsteht. Auch bleibt fraglich, wieso die Rolle der Papusza mit einer polnischen Schauspielerin besetzt wurde.
Diese moralischen Zweifel ändern jedoch nichts an der mitreißenden und visuell beeindruckenden Inszenierung des Films, die von der ersten bis zur letzten Minute zu fesseln und zu berühren vermag. Letztlich obliegt es dem einzelnen Zuschauer zu entscheiden, ob die polnische Perspektive in „Papusza“ die Roma aufs Neue verrät, oder ob hier eine begrüßenswerte und vor allem sehenswerte Auseinandersetzung mit ihrer Kultur vorliegt.
Sophie Charlotte Rieger