Paraiso

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Ein Film über korpulente Menschen mag nicht gerade das Sujet sein, das Kinogänger auf der Leinwand suchen. Doch die mexikanische Regisseurin Mariana Chenillo setzt sich in ihrem warmherzigen, flott erzählten romantischen Liebesdrama auf unterhaltsame Weise mit Schönheitswahn und Körperkult auseinander. Feinsinnig schenkt sie ihren übergewichtigen Hauptdarstellern, die alles andere als makellos, glatte Hollywood-Helden sind, jene überzeugende Mischung aus Stolz und Verletzlichkeit.  Souverän stellt die 39jährige dabei gleichzeitig das Glücksversprechen durch Traumgewicht in Frage.  

Webseite: www.arsenalfilm.de

Mexiko 2013
Regie: Mariana Chenillo
Drehbuch: Julieta Arévalo, Mariana Chenillo
Kamera: Yaron Orbach
Darsteller: Andrés Almeida, Daniela Rincón, Camila Selser Andrés Almeida, Beatriz Moreno, José Sefami, Daniel Haddad, Luis Gerardo Mendez, Anabel Ferreira.
Länge: 105 Minuten
Verleih: Arsenal Filmverleih
Kinostart:  30. Juni 2016
 

FILMKRITIK:

Wenn Mexiko filmisch auf sich aufmerksam macht, handelt es sich nicht selten um die Schattenwelten illegaler Migration entlang der mexikanischen Grenze oder gewalttätiges Gangleben. Reale Albträume wie „Trade –Willkommen in Amerika“ oder der schonungslos elektrisierende Geniestreich „Amores Perros“ von Kultregisseur Alejandro González Iñárritu prägen das Bild. Menschen- und Milieuporträts aus der Mittelschicht kommen dagegen nicht oft ins europäische Kino. Immerhin gehören auch ihre Geschichten zur scheinbar uferlosen Problemzone Mexico Citys mit seinen 21 Millionen Einwohnern.
 
Carmen (Daniela Rincon) und Alfredo (Andres Almeida) leben rundum zufrieden in ihrem Reihenhaus in Satélite, einem verschlafenen Vorort von Mexico City. Für das übergewichtige Paar, das sich noch aus Schultagen kennt, scheint die Welt in Ordnung. Umgeben von ihren Freunden und Familien genießen sie ihre Zusammenleben. Zärtlich lieben sich die beiden, aller überflüssigen Pfunde zum Trotz. Als dem IT-Spezialist Alfredo von seiner Bank jedoch ein verlockender Job in Mexico City angeboten wird, steht Veränderung ins Haus. Die gewohnte Umgebung zu verlassen, verunsichert vor allem Carmen. Denn schließlich gibt die junge Frau damit ihre Heimarbeit bei ihren Eltern als Steuerberaterin auf, um sich ganz auf das Abenteuer im Moloch Großstadt einzulassen.
 
Gleich die erste große Firmenfeier der Bank gerät dann tatsächlich zum Desaster. „Tano hat mit denen aus der Personalabteilung gewettet, dass der Neue in keinen Bürostuhl passt“, lästern die Sekretärinnen auf der Toilette. Und auch an Carmen und ihrem „Miss Piggy“ haften Schößchenkleid  lassen sie kein gutes Haar und fragen sich wie so ein dickes Paar überhaupt Sex miteinander haben kann. Verletzt von diesen hämischen Kommentaren, die sie unfreiwillig mit anhören muss, will Carmen nur noch schnellstens nachhause. Als sie Tage später zufällig auf eine Diätgruppe stößt, steht ihre Entscheidung fest. Abnehmen heißt die Devise. Sie überredet Alfredo ebenfalls mitzumachen.
 
Doch zu ihrem Leidwesen ist ihr Mann dabei erfolgreicher. Während bei ihm die Pfunde nur so purzeln, kämpft sie mit jedem Gramm. „Naschkatzen vor“, fordert der Leiter der Diätgruppe (Luis Gerardo Méndez) und will wissen, wer diese Woche zugenommen hat. Beschämt erhebt sich Carmen. Frustriert besucht sie nämlich schon seit Tagen heimlich einen Kochkurs mit patenten Frauen aus Galizien. Alfredo hingegen erregt mit seiner neuen schlanken Figur inzwischen die Aufmerksamkeit seiner adretten Kollegin Marta (Camila Selser). Eifersüchtig wünscht sich Carmen ihren „alten, dicken Alfredo“ zurück und manövriert sich damit zunächst ins Aus. 
 
Erfrischend setzt sich die mexikanische Regisseurin Mariana Chenillo in ihrem warmherzigen, flott erzählten romantischen Liebesdrama auf unterhaltsame Weise mit Schönheitswahn und Körperkult auseinander. Scheu hat die Filmemacherin dabei vor nichts. Weder vor Nacktheit noch vor Sexszenen, die nie voyeuristisch wirken. Denn billige Gags auf Kosten ihrer Protagonisten sind tabu. Vor allem die unverbrauchten Gesichter ihrer talentierten Darsteller sorgen dabei für Authentizität fernab von glattgestylten Hollywoodhelden. Direkt und humorvoll mit meisterlichem Gefühl für die jeweilige Situation inszeniert die 39jährige ihre bunte mexikanische Romcom samt Happy End, das manche vielleicht an lateinamerikanische Telenovelas erinnert. Ein optimistischer Sommerfilm für laue Abende nach dem Motto: Anschauen, genießen und dann nie wieder Diät.
 
Luitgard Koch