Pazar – Der Markt

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Nach seiner Dokumentation „37 Uses for a Dead Sheep“ zieht es den englischen Regisseur Ben Hopkins erneut in den Osten der Türkei. Dort inszeniert er eine kleine, allegorische Geschichte um einen Mann, der versucht seiner Familie ein besseres Leben zu verschaffen. Oft erinnern die spartanischen Bilder in den ebensolchen Landschaften an Filme aus dem Iran, doch lässt sich die Geschichte bemerkenswerterweise auch als verklausulierte Globalisierungskritik lesen.

Webseite: www.pifflmedien.de

OT: Pazar – bir ticaret masali
Deutschland, England, Türkei, Kasachstan 2008
Regie: Ben Hopkins
Buch: Ben Hopkins
Darsteller: Tayanç Ayaydin, Genco Erkal, Senay Aydin, Hakan Sahin , Rojin Ulker
Länge: 94 Minuten, Format: 1:1,85
Verleih: Piffl
Kinostart: 20. November 2008

PRESSESTIMMEN:

...auf film-zeit.de


FILMKRITIK:

Die östliche Türkei, Anfang der 90er Jahre. Ben Hopkins Film beginnt mit Bildern eines ruppigen Chefs, der seine Angestellten herumscheucht und angesichts seiner großen Lagerhalle offensichtlich erfolgreich ist. Doch dieser Mann ist nicht die Hauptfigur des Films, er ist das vollkommene Gegenstück des eigentlichen Helden Mihram. Der ist ein kleiner Händler von allerlei Kram, den er in seinem kleinen Dorf kauft und verkauft und seine Familie mehr schlecht als recht ernährt. Er ist eine ehrliche Haut, aber auch leicht tollpatschig und so sieht man ihn in der ersten Szene wie er versucht, dem erfolgreichen Mann genau jenes Telefonkabel zu verkaufen, dass diesem gerade gestohlen wurde. Nicht das Mihram das Kabel gestohlen hätte, aber geschickt ist anders.

Doch die Zukunft verspricht auch für Mihram großes, zumindest glaubt er fest daran. Bald werden Mobilfunkmasten auch in diese abgelegene Region der Türkei gelangen und die Kids wie wild Handys kaufen. Das ist zumindest Mihrams Hoffnung, und so plant er einen Laden mit Handys zu eröffnen. Doch dafür braucht er Geld, viel Geld, denn bei der lokalen Telefongesellschaft, von der er eine Lizenz erwerben muss, kann man, sehr zum Erstaunen Mihrams, nicht um den Preis feilschen. Immer wieder zeigt der Film diese geradezu traditionelle Methode Geschäfte zu machen, in der Mihram große Klasse besitzt, die jedoch zunehmend verdrängt wird. 

So wird Mihram bei seinen Bemühungen, endlich Erfolg zu haben, zunehmend zu einer tragischen Figur, die von den veränderten Bedingungen der Geschäftswelt überrollt wird. In bester tragikomischer Manier steht vor dieser Erkenntnis aber die Hoffnung, dass alles besser werden kann. Das örtliche Krankenhaus braucht dringend einen Impfstoff, den Mihram hinter der Grenze kaufen soll. So macht er sich auf den Weg nach Aserbeidschan, schmuggelt dort benötigtes Eisenerz, um es mit hohem Profit zu verkaufen, doch der Erfolg ist nur von kurzer Dauer. Bald muss Mihram erkennen, dass sein individuelles Bemühen vergeblich ist. Selbst in seinem kleinen Dorf hat sich eine Gruppe breit gemacht, die man als Mafia, einfache Gangster oder eben auch als Vertreter der Globalisierung bezeichnen könnte. Schon zu Beginn des Films haben sie Mihram klar gemacht, dass seine Zeit vorbei ist, dass er als einsamer Cowboy keine Chance hat zu überleben. Immer wieder begegnet er ihnen im Laufe der Geschichte, mal auf direkte, vor allem aber auch auf indirekte Weise. Egal was er versucht, dem Griff des Konglomerats kann er nicht entkommen.

Mit dieser pessimistischen Erkenntnis endet der Film vollkommen konsequent und ganz im Sinne von Hopkins Weltsicht. Einmal mehr scheitert der Außenseiter, der Individualist, bei seinem Versuch, gegen übermächtige, oft mysteriöse Institutionen zu bestehen. Nach dem angestrengten „Simon Magus“ und dem allzu experimentellen „Die Neun Leben des Thomas Katz“ scheint Ben Hopkins in der östlichen Türkei die Umgebung gefunden zu haben, die er für seine Talente benötigte. Das Ergebnis ist sein bislang überzeugendster Film.
 

Michael Meyns

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1994. Äußerste Osttürkei an der Grenze zu Aserbeidschan. Eine ärmliche, früher sagte man unterentwickelte Gegend. Allerdings taucht am Horizont so etwas wie die Moderne auf. Das Handy-Zeitalter beginnt. 

Mihram lebt dort mit seiner Frau Elif und ihrem Töchterchen. Arbeit gibt es in der Region wenig, jeder muss sich durchwursteln. Mihram ist Kleinhändler. Zwar besitzt er keinen Laden, aber dafür organisiert er für jeden alles, auch unter der Hand, wenn es sein muss: Zigaretten, Parfum, Chemikalien, Medikamente. Nicht immer geht es dabei sehr legal zu. Aber, so wird ein paar Mal gesagt, der Mond frage auch nicht, woher sein Licht komme.

Eine Ärztin teilt Mihram mit, ein wichtiges Medikament für Kinder sei ausgegangen. Er soll es beschaffen, und zwar im benachbarten Aserbeidschan, weil es dort billiger zu haben ist. Sie zahlt im voraus, und das kann ihm nur gefallen, denn mit dem verfügbaren Geld kann man in der Zwischenzeit handeln, verhandeln, schummeln, etwas dazuverdienen.

Mit seinem alten Onkel macht sich Mihram auf den Weg, nicht ohne vorher noch mit Gewinn Schmuggelgut abzuliefern. Mit dem auf schlaue Weise „erworbenen“ Medikament allerdings wird er nicht froh. Die kriminelle Konkurrenz ist ihm längst zuvorgekommen. Fällt er jetzt in seine Alkoholsucht und in die Spielleidenschaft zurück? Noch ist nicht alles verloren. Denn immerhin eröffnet Elif einen Handy-Laden.

Ben Hopkins sucht sich meistens kuriose Themen und Geschichten aus. Das ist wieder so eine. Sie beschreibt neben der halb originell, halb deprimierend dargestellten Lebensweise dieses Mihram – Tayanc Ayadin erhielt für seine schauspielerische Leistung auf dem diesjährigen Locarno-Filmfestival den Preis als bester Hauptdarsteller – den Übergang von einer buchstäblich archaischen Epoche in das heutige Zeitalter. Außerdem den zermürbenden tagtäglichen Kampf ums Überleben. Und dies in einer für den Westen weitgehend fremden Welt. Doch auch dort geht es immer weiter.

Das ist dramaturgisch gleichermaßen clever, gefühlsstark und nicht zuletzt komisch gemacht. Mihram und sein Onkel haben auf ihrer schrägen Tour köstliche Szenen. Und auch die Darsteller der Elif und des Gauners Mustafa machen gut mit.

Thomas Engel