Pearl

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Eine Trilogie entsteht manchmal auf die ungewöhnlichste Art und Weise. Während der Dreharbeiten zu „X“ begann Ti West mit dem Schreiben von „Pearl“, während er sich zwei Wochen in Quarantäne befand. Sein Star Mia Goth fand sich als Ko-Autorin ein und das Studio A24 war interessiert, so dass West gleich im Anschluss an den ersten Film mit den Dreharbeiten für das Prequel beginnen konnte. Herausgekommen ist ein Film, der zwar wieder Horror, aber ebenso sehr auch ein psychologisches Drama ist. Wie schon der Vorgänger richtet sich auch das Prequel an ein Publikum, das Horror nicht auf oberflächliche Art goutiert.

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USA / Kanada / Neuseeland 2023
Regie: Ti West
Buch: Ti West, Mia Goth
Darsteller: Mia Goth, David Corenswet, Tandi Wright

Länge: 102 Minuten
Verleih: Universal
Kinostart: 18. Mai 2023

FILMKRITIK:

Pearl lebt bei ihrer Mutter und ihrem pflegebedürftigen Vater, während ihr Mann im Krieg ist. Ihre Mutter ist herrisch. Die junge Frau träumt indes davon, etwas aus ihrem Leben zu machen. Sie möchte tanzen. Als sie hört, dass in der örtlichen Kirche ein Vortanzen für eine Show stattfindet, will sie unbedingt daran teilnehmen. Ihre Mutter verbietet es, doch das ist der Moment, an dem Pearl, die schon immer Freude daran hatte, Tiere zu töten, aus ihrem Korsett ausbricht. Sie ist gewillt, zu tun, was immer auch notwendig ist, um ihren Traum zu erfüllen. Und wenn das nicht gelingt, dann macht sie aus dem, was sie hat, das Beste ...

Während „X“ aussah wie ein Film der 1970er Jahre, mutet „Pearl“ weit altmodischer an. Nicht wie ein Stummfilm jener Dekade, in der er spielt, eher schon wie ein Film der 1930er Jahre. Schon die Stabsangaben am Anfang machen das deutlich. Die Inszenierung aber auch. „Pearl“ hat etwas Märchenhaftes, die Hauptfigur ist eine Art verdrehte Version von Dorothy aus „Der Zauberer von Oz“. Die ausdrucksstarken Farben unterstützen dieses Feeling noch.

Der Film selbst ist vor allem ein psychologisches Drama. Eines über familiären Missbrauch, aber auch eines über einen zutiefst verstörten Menschen. Denn Pearl war nie normal - das weiß auch ihre Mutter, und genau darum behandelt sie die Tochter, wie sie es tut. Wenn Pearl sich unbeobachtet fühlt, dann tötet sie, wobei die Tiere, denen sie den Garaus macht (und dann an den Alligator im See verfüttert) immer größer werden. In Pearl schlummert alles, was einen Serienkiller ausmacht. Es brauchte nur noch den einen Schubs, um sie endgültig in den Abgrund zu stoßen.

Die ersten zwei Drittel des Films sind vor allem ein Drama, erst dann entfaltet sich der Horror, den Fans von Ti West vielleicht erwarten. Dann kommt es auch zum Morden, wobei Pearl nimmt, was zur Hand ist - sei es Mistgabel oder Axt. Die letzte Einstellung ist dann eine, die lange nachwirkt. Sie weckt Reminiszenzen an die Filme, die auf Basis der Morde von Ed Gein geschahen, und sie erlaubt den Blick in das groteske Bild des Wahnsinns.

Der Film gehört ganz Mia Goth. Sie meistert den Südstaaten-Akzent, sie liefert eine atemberaubende Tanzeinlage ab, und sie versteht es, den Wahnsinn ihrer Figur greifbar zu machen. Es gibt den einen Moment, in dem sie wirklich bricht, gefolgt von einer minutenlangen Sequenz, die ohne jeden Schnitt auskommt und in der Goth eine schauspielerische Tour de Force abliefert, die eindrucksvoll ist.

Wie es mit Pearl ausgeht, hat man in „X“ gesehen, wie es mit der Überlebenden aus „X“ weitergeht, wird sich im dritten Teil „Maxxxine“ zeigen, der in den 1980er Jahren spielt. Neben Goth hat Ti West ein wirklich namhaftes Ensemble versammelt. Mit dabei sind Elizabeth Debicki, Moses Sumney, Michelle Monaghan, Bobby Cannavale, Lily Collins, Halsey, Giancarlo Esposito und Kevin Bacon.

Peter Osteried