Picknick mit Bären

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Mit dem bewährten Konzept des klassischen Buddy- und Roadmovie lässt sich die 78jährige Leinwandikone Robert Redford zusammen mit Hollywood-Urgestein Nick Nolte auf einen Kampf mit der Natur und den Tücken des Alters ein. Frei nach Bill Brysons selbstironischen Wanderbuch „A Walk in the Woods“ schlagen sich die beiden Schauspiellegenden auf dem Appalachian Trail, den längsten Wanderweg der Welt, durch die amerikanische Wildnis. Ein unterhaltsamer, waghalsiger Trip angereichert mit slapstickhafter Komik und phantastischen Landschaftsbildern, der den beiden Altmeistern die Gnade der Freundschaft eröffnet.

Webseite: www.alamodefilm.de

USA 2015
Regie: Ken Kwapis
Drehbuch: Rick Kerb, Bill Holderman
Darsteller: Robert Redford, Nick Nolte, Emma Thompson, Mary Steenburgen, Nick Offerman, Kristen Schaal, R. Keith Harris, Randall Newsome, Hayley Lovitt, Linds Edwards, Susan McPhail, Gaia Wise, Tucker Meek, Chandler Head, Sandra Lafferty, John Schmedes
Länge: 98 Minuten
Verleih: Alamode
Kinostart: 15.10.2015

FILMKRITIK:

Langweilige Interviews und deprimierende Beerdigungen nerven den ehemaligen, erfolgreichen Reiseschriftsteller Bill Bryson (Robert Redford) gehörig. Für ein eintöniges Rentnerdasein fühlt  sich der agile Bill einfach nicht geschaffen. Und da Alter schließlich nichts für Feiglinge ist will er es noch einmal wissen. Von einem der berühmtesten Fernwanderwege fühlt er sich herausgefordert. Stur, aller Unkenrufe zum Trotz, will er den längsten Fußweg der Welt, den „Appalachian Trail“, bezwingen. Für sein Abenteuer in der Wildnis probt er deshalb schon mal im Garten und stellt sein altes Zelt auf.
 
Umsonst malt ihm seine besorgte Ehefrau Cynthia (Emma Thompson), in schönster Katastrophenfantasie, alle Gefahren aus, die ihm in dieser grünen Hölle begegnen könnten: Bären, Klapperschlangen, Viren, Unterkühlung, Desorientierung. Als alles nichts hilft, stellt sie ihm eine Bedingung: Nicht allein, ein Freund soll ihn begleiten. Doch da hagelt es nur Absagen. Am Ende bleibt nur einer übrig: Sein alter Schulfreund Stephen Katz, mit dem er schon seit Ewigkeiten nichts mehr zu tun hat. „Nicht Katz“, stöhnt Cynthia entsetzt. Katz, ein ehemaliger Alkoholiker, schleppt nicht nur einige Kilos zu viel mit sich rum, sondern hat auch sonst keine große Outdoor-Erfahrung.
 
Allein der Weg vom Auto zu Bills Haus bringt den sprichwörtlichen Couch Potatoe bereits ins Schwitzen und raubt ihm den Atem. Außerdem ist seit der gemeinsamen Schulzeit, in der die inzwischen alten Männer beste Freunde waren, viel Zeit vergangen. Sie haben sich in unterschiedliche Richtungen entwickelt. Bei ihrer Wiedervereinigung auf einen der Traumpfade unersättlicher Rucksackkulis fordert die ständige Gesellschaft des jeweils anderen dem ungleichen Gespann deshalb mehr als nur körperliches Durchhaltevermögen ab. Alte Erinnerungen tauchen plötzlich auf, längst vergessene Taten gilt es zu bereuen und sogar amouröse Avancen sind zu meistern. Und selbst die im Titel genannten Bären kreuzen nachts auf. Außerdem treffen sie unterwegs so manches Unikat, wie die nervige Mary Ellen (Kristen Schaal), die alles besser weiß.
 
Es gibt etliche Gründe, der Zivilisation zu entfliehen und die Einsamkeit der Wildnis zu suchen, von Trauma-Verarbeitung bis hin zu Abenteuer- und  Sinnsuche. Solche existenziellen Erfahrungen sind allemal guter Stoff für autobiografische Berichte und ihre anschließenden Verfilmung. Grenzerfahrungen in der Einsamkeit sind gefragt, wenn auch für die meisten eher aus zweiter Hand. Nicht umsonst sicherte sich der engagierte Umweltaktivist Robert Redford bereits vor zehn Jahren die Rechte an Bill Brysons Bestseller um die Erlebnisse von zwei alten Jugendfreunden auf dem  langen und abenteuerlichen "Appalachian Trail“. Ursprünglich wollte die Leinwandikone  den Streifen mit seinem verstorbenen Freund Paul Newman drehen.
 
Doch auch mit dem Haudegen und schlagfertigen Hollywood-Rebell Nick Nolte an seiner Seite gewinnt der Streifen an bärbeißigem Humor und dramatischer Tiefe. In seiner langen Karriere spielte der ehemalige Bauarbeiter und inzwischen ergraute Hüne ungestüme Raubeine, haltlose Charaktere, von Bewegungsdrang getriebene Wilde, nicht zur Ruhe kommende Drifter, Einzelgänger und Exzentriker. Auch privat erlebte der Golden Globes-Preisträger mit der tiefen, kratzigen Stimme Höhen und Tiefen. Es bleibt trotz allem erstaunlich, wie manchmal nahezu genial das Zusammenspiel zwischen den beiden funktioniert. Die Witze im Dialog sind nicht aufgesetzt, sondern entwickeln sich wie selbstverständlich aus den Charakteren und den komischen Situationen, in die sie geraten.
 
Das Duo brilliert nicht nur in komischen Szenen, sondern verzichtet selbst auf dem noch unausgeloteten Terrain der Männerfreundschaft auf kumpelhaftes Schulterklopfen. Zudem beherrscht Freigeist Redford nach wie vor einen Minimalismus, der nie auf sichtbares Spielen setzt, sondern immer nur auf das Sein, auf Emotionen, die aus winzigen Gesten entstehen. Dass er seinen Zenit als Schauspieler noch nicht überschritten hat, zeigte er auch in dem eindringlichen Seefahrer-Kammerspiel „All Is Lost“. Bei dieser wortkargen Tour de Force stemmte sich der damals 77jährige mit einer umwerfenden Leistung der Natur, dem Alter und dem Vergehen entgegen. Schließlich hat er ihn immer wieder gespielt, den Unbeugsamen, der ganz auf sich gestellt ums Überleben kämpft.
 
Trotz  der geradlinigen Dramaturgie ohne Rückblende macht die Buddy-Komödie gute Laune. Auch wenn das Sujet schon ziemlich gut bearbeitet wurde, etwa durch Sean Penns Aussteiger-Drama „Into the Wild“ oder das sehenswerte Melodram „Der große Trip – Wild“ mit Anti-Heldin Reese Witherspoon bietet der witzige Rentner-Road-Trip eine neue Variante. Außerdem hat sich Redford mit einem erstklassigen Team umgeben.  Vor allem von der geistreichen Oscarpreisträgerin Emma Thompson mit ihrer komödiantischen Ader samt trockenem Humor hätte man gern noch mehr gesehen. In einer weiteren Nebenrolle glänzt auch Mary Steenburgen als patente Motelchefin Jeannie.  Mit schmalem Gesicht unter den stets etwas unordentlichen braunen Locken, schuf sie amerikanische Pionierfrauen in der Nachfolge der John-Ford-Ladies. Stets agiert die Mimin aus Arkansas dabei lässig auf Augenhöhe ihrer Partner.
 
Den Appalachian Trail umgibt unter Wanderern eine fast mystische Aura. Schließlich zählen  Appalachen dabei zu den ältesten Gebirgen der Erde und weisen Höhen von bis zu 2037 Metern auf. Außerdem sind sie die Heimat des größten Laubwaldes der Erde und tragischerweise vom Aussterben bedroht. Die gesamte Wildnis der Appalachen südlich von New England würde sich in eine Savanne verwandeln, wenn sich die Erdatmosphäre im Laufe der nächsten 50 Jahre um lediglich 4°C erwärmt. Das Baumsterben der dortigen Wälder hat bereits begonnen und so zum Beispiel Ulmen und Kastanien fast vollständig ausgerottet.
 
Luitgard Koch