Piggy

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Das Langfilmdebüt von Carlota Pereda ist nicht unbedingt das, was man einen reinrassigen Horrorfilm nennen würde. Der letzte Akt wird dem noch am Ehesten gerecht. Zuvor hat man eher ein biestiges Coming-of-Age-Drama, das mit einer moralischen Frage spielt, deren Beantwortung eigentlich auf der Hand liegt. Es geht um eine junge Frau, die wegen ihres Gewichts gemobbt wird und dann nichts unternimmt, als sie Zeuge wird, wie ihre Mobber von einem Killer verschleppt werden.

Webseite: https://www.alamodefilm.de/

Cerdita
Spanien 2022
Regie + Buch: Carlota Pereda
Darsteller: Carmen Machi, Laura Galán, Claudia Salas

Länge: 100 Minuten
Verleih: Alamode
Kinostart: 27. Oktober 2022

FILMKRITIK:

Sara geht gerne schwimmen, aber nicht gerne ins Freibad. Sie sucht nach Zeiten, an denen niemand da ist, da sie wegen ihres Gewichts ständig verspottet wird. Als sie am Freibad ankommt, sind dort auch Maca, Roci und Clau – letztere war mal ihre gute Freundin. Sie hänseln und verspotten Sara, ertränken sie gar fast, und nehmen ihr dann ihre Kleidung weg, so dass sie halbnackt nach Hause laufen muss. Auf dem Weg kommt sie an einem Kastenwagen vorbei. Darin: Ein Killer, der die drei Mädchen gefangen hat und nun verschleppt. Er tauscht einen Blick mit Sara aus und ist sicher: Sie wird schweigen.

Der auf dem diesjährigen Sundance Film Festival gelaufene „Piggy“ ist ein interessanter, aber nicht makelloser Film. Er greift das Mobbing-Thema eindringlich auf. So sehr, dass man den Schmerz der Hauptfigur spüren kann. Ihre Ohnmacht, ihre Wut, ihre Scham. Mindere Horrorfilme würden daraus eine Rachegeschichte machen, „Piggy“ macht daraus eine Geschichte über Moral. Man kann bei Sara verstehen, dass sie nichts sagt. Einerseits, weil sie sich schuldig fühlt, andererseits, weil sie gelernt hat, diese Mädchen zu hassen. Sie wird im Grunde so etwas wie die Komplizin des Killers, der in ihr wiederum so etwas wie eine verwandte Seele zu erkennen glaubt.

Darauf baut der letzte Akt auf, wenn „Piggy“ in die Niederungen des Horrorkinos vordringt und die gefangenen Mädchen zeigt – an der Decke an ihren Händen aufgehängt. Der düstere Look, den Carlota Pereda hier erzeugt, ist dem Genre angemessen, wirkt im Kontext der Geschichte aber wiederum aufgesetzt. Wie soll man diesen Killer deuten? Dass er selbst ein Mobbing-Opfer war und ihn das über den Abgrund trieb, hin zu dem Mörder, der er jetzt ist? Aber der Film stellt auch eine andere Frage: Was ist die gerechte Strafe für Mobber? Er stellt es im Grunde so hin, dass Folter und Tod fast so etwas wie poetische Gerechtigkeit sind.

Überhaupt steht der Film da dem Slasher-Genre nahe. Wo dort vorehelicher Sex den Tod bedeutet, ist es hier Mobbing, das zu Folter und Tod führt. Oder anders gesagt: Wer sich außerhalb gesitteter Normen bewegt, lebt gefährlich. Die Aussage des Films ist entsprechend etwas fragwürdig, ebenso die Motivation von Sara. Dass er dennoch funktioniert, liegt vor allem an Laura Galán, die sich hier die Seele aus dem Leib spielt. Damit zieht „Piggy“ den Zuschauer auf die Seite von Sara – und man fragt sich selbst: Gönnt man ihren Mobbern dieses Schicksal?

„Piggy“ ist entsprechend mehr als ein üblicher Horrorfilm. Im Grunde ist er gar kein Horrorfilm. Eher schon ein Stück über die Frage nach der Moral, und wie man ihr gerecht werden kann. Auf jeden Fall kein Gute-Laune-Horror, sondern ein Film, der in den Fokus rückt, mit welcher Freude Menschen andere quälen – das Mobbing ist hier nur die Kehrseite des Mordens durch den unbekannten Killer. Am Ende ist der Film trotz kleinerer Schwächen vor allem ein leidenschaftlicher Aufruf, sich gegen Mobbing jeder Art zu stellen, indem er den Schmerz und das Leid der Gemobbten so spürbar wie selten werden lässt.

Peter Osteried