Plastik ist überall, aber gewiss nicht phantastisch, oder vielleicht doch? Der ironische gewählte Titel „Plastic Fantastic“ deutet schon an, dass Isa Willinger in ihrem Dokumentarfilm nicht einfach nur die negativen Aspekte des Materials darstellt, sondern um einen differenzierten Blick bemüht ist, der auch Lobbyisten zu Wort kommen lässt, deren Aussagen neben der von Umweltaktivisten stehen.
Deutschland 2023
Regie: Isa Willinger
Dokumentarfilm
Länge: 102 Minuten
Verleih: mindjazz
Kinostart: 25. Januar 2024
FILMKRITIK:
"Plastik in der Umwelt ist 100-prozentig inakzeptabel!“ Wer würde diesem Satz nicht zustimmen, gerade angesichts von Bildern, in denen Laster Ladungen von Plastikmüll in Flüsse kippen, Menschen sich auf gigantischen Deponien durch den Müll forsten, auf der Suche nach Verwertbaren oder an eigentlich makellosen Traumstränden unweigerlich Plastikmüll gefunden wird. Spielt es da eine Rolle, dass es Joshua Baca ist, der diesen Satz spricht, ein Vertreter des American Chemistry Council, einer Lobbyorganisation der Chemie- und Kunststoffindustrie der USA? Ist er ein Heuchler? Einfach ein guter Lobbyist? Oder hat er einen Punkt, wenn er sagt, dass das Problem kompliziert ist und mit einem pauschalen Verbot von Plastik auch nicht zu lösen wäre?
Würde man Plastik verbieten, würde man etwa Plastikteller durch Papierteller ersetzen, hätte die Welt binnen kürzester Zeit statt eines Plastik- eben ein Papierproblem, so erklärt Baca. In den Augen des Lobbyisten ist es weniger das Plastik an sich, dass das Problem darstellt, sondern der Umgang mit ihm. Was sich auf den ersten Blick durchaus überzeugend anhört, mag auf den zweiten für Skepsis sorgen, gerade wenn man danach den Wissenschaftler Michael Braungart hört, Professor an der Leuphania Universität in Lüneburg, der von den tausenden Partikeln Mikroplastik berichtet, die in Fischen und Anderem zu finden sind, von Millionen Flip-Flops, die Tag für Tag in den Mägen von Haien landen.
Unterschiedliche Perspektiven bringt Isa Willinger in ihrem Dokumentarfilm „Plastic Fantastic“ zusammen, dessen große Stärke es ist, nicht dogmatisch oder ideologisch an sein Thema zu gehen. Statt einfach nur Aktivisten auf die Vermüllung durch Plastik schimpfen zu lassen, weist Willinger auf zwei Aspekte hin: Zum einen die enorme Verbreitung von Plastik, die einen Abschied von diesem Material praktisch undenkbar macht, zum anderen auf Methoden, nicht das Plastik durch andere Materialien zu ersetzen (was weniger zu einer Problemlösung als einer Ersetzung des einen Problems durch ein anderes führen würde), als das herkömmliche Plastik durch sozusagen besseres Plastik zu ersetzen. Dieses könnte sich dann – um beim Beispiel der Flip-Flops zu bleiben – im Haimagen auflösen, statt im schlimmsten Fall zum Tod des Tieres zu führen.
So wie in ihrem vorhergehenden Dokumentarfilm „Hi A.I.“, der einen kritischen, aber unvoreingenommen Blick auf die Möglichkeiten und Gefahren der Künstlichen Intelligenz warf, schafft es auch Isa Willinger auch in „Plastic Fantastic“ ein Thema vielschichtig zu beleuchten. Umweltaktivisten aus Kenia kommen ebenso zu Wort wie Lobbyisten, offensichtlich erschütternde Bilder von Mülldeponien stehen neben Aufnahmen, in denen Plastik regelgerecht entsorgt wird. Eine differenzierte, unideologische Herangehensweise, die einem komplexen und komplizierten Thema wie dem Plastik angebracht erscheint.
Michael Meyns