Playing God

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Wieviel ist ein Menschenleben wert? Diese Frage zieht sich durch Karin Jurschicks Dokumentation „Playing God“, in der die Regisseurin den amerikanischen Anwalt Ken Feinberg porträtiert. Dieser ist als Entschädigungsspezialist bekannt und holt Millionen für Opfer von Katastrophen raus – bzw. verhindert, dass große Firmen noch mehr zahlen müssen. Je nach Blickweise.

Webseite: www.realfictionfilme.de

Dokumentation
Deutschland 2017
Regie: Karin Jurschick
Buch: Karin Jurschick und Birgit Schulz
Länge: 90 Minuten
Verleih: RealFiction
Kinostart: 8. Februar 2018

FILMKRITIK:

Frivol mutet es an, aber es ist wohl eine notwendige Arbeit: Sich zu fragen, wie groß der Schadensersatz ist, der Hinterbliebenen einer Katastrophe bezahlt wird. Wieviel Geld soll jemand bekommen, dessen Mann, Frau, Vater, Mutter oder Kind bei einem Flugzeugabsturz, durch fahrlässige Verwendung von Medikamenten oder einen Terroranschlag ums Leben kam?

Dass eine Geldsumme den Verlust eines geliebten Menschen nie aufwiegen kann, spielt dabei gar keine Rolle, dass der Verlust des Ernährers einer Familie pragmatisch betrachtet zwar mehr wiegen mag, als der Tod eines Kindes, aber emotional anders bewertet wird, macht die Sache schon komplizierter. Und was macht man im Fall der Opfer des Terroranschlags vom elften September? Kann man da zwischen einem Feuerwehrmann unterscheiden, der vielleicht 50.000 Dollar im Jahr verdient hat und einem Börsenmakler, der jedes Jahr Millionen Boni bekam? Beide starben in den Trümmern der Türme, aber ist der eine mehr wert als der andere?

Diese Fragen stellt Karin Jurschick in ihrem Film, bzw. sie versucht es. Denn ihr Subjekt, der amerikanische Anwalt Ken Feinberg, stellt sie sich augenscheinlich in keinem Moment seiner hektischen Arbeit, die ihn in Limousinen und Privatflugzeugen durchs Land führt, von einem Termin zum nächsten hetzend, um das Beste für seine Klienten herauszuholen. - Oder für sich?

1984 begann Feinbergs Karriere als so genannter Litigator, als Spezialist für Entschädigungen, der aushandelt, wie viel Schadensersatz zu zahlen ist. Damals ging es um Agent Orange, das Entlaubungsmittel, das während des Vietnamkriegs tonnenweise über dem Land versprüht wurde und auch bei amerikanischen Soldaten schwere Schäden hinterließ. In der Folge wurde Feinberg zu dem Mann, den man rief, wenn es um Schadensersatz ging: Von 9/11, über eine von BP verursachte Ölpest bis ganz aktuell zu Schadensersatzzahlungen wegen Missbrauch innerhalb der katholischen Kirche.

Unkommentiert lässt Jurschik Feinberg zu Wort kommen, lässt ihn in Interviews seine Position erklären, die sich durch und durch pragmatisch und vollkommen frei von Zweifeln an seinem Tun anhört. Kontrastiert werden diese Aufnahmen von Gesprächen mit Hinterbliebenen, mit Menschen, die Entschädigungen bekommen haben und die deutlich weniger zufrieden mit dem sind, was sie bekommen haben, als es Feinberg selbst ist. Sehr amerikanisch, sehr kapitalistisch mutet das ganze an, ein oft fragwürdig anmutendes Feilschen um Schadensersatz, doch eine wirkliche Alternative ist schwer vorstellbar.

Vielfältige Fragen wirft Jurschick auf, ohne sie beantworten zu können oder zu wollen. Zumal ihr Subjekt Ken Feinberg keineswegs unsympathisch wirkt, nie glatt oder zynisch, sondern einfach nur pragmatisch. „So ist eben das System“ sagt er einmal und er ist nur ein Teil davon. Befriedigend ist das vielleicht nicht, aber die Realität.

Michael Meyns