Playland USA

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Die USA als großer Spielplatz? Angesichts der zunehmend absurd anmutenden politischen Verhältnisse im einstigen Führungsstaat der westlichen Welt mag man dieser These zustimmen. Doch dankenswerterweise ist Benjamin Schindlers essayistischer Dokumentarfilm „Playland USA“ keine Abrechnung mit Donald Trump, sondern versucht auf ambitionierte Weise, das amerikanische Selbstverständnis zu hinterfragen.

Webseite: www.playlandusa.com

Dokumentation
Deutschland 2019
Regie & Kamera: Benjamin Schindler
Buch: Benjamin Schindler & Jan Wilde
Länge: 88 Minuten
Verleih: zeitgebilde/barnsteiner
Kinostart: 26. September 2019

FILMKRITIK:

Wie eine Nation ihre Geschichte schreibt, sagt viel über ihr Selbstverständnis aus, über das Maß an Selbstreflexion und vielleicht auch nötiger Selbstkritik, die stattfindet oder auch nicht. Gerade im Osten der Vereinigten Staaten, auf dem Gebiet, dass die aus Europa kommenden Siedler zu den Gründerstaaten formten, gibt es etliche historische Stätten, Orte, an denen die Geschichte der USA lebendig wird. Freilichtmuseen sind dies, wo Schauspieler in die Rollen der Siedler oder der ersten Politiker des Landes schlüpfen und nachspielen, wie es damals war. Beziehungsweise wie es im idealisierten Rückblick erscheinen mag, denn die ganze Komplexität der Geschichte, vor allem auch ihre Versäumnisse, lassen sich mit ein bisschen Laientheater kaum erfassen.
 
Die Folge ist ein unterkomplexes Bild, dass etwa den Genozid an den amerikanischen Ureinwohnern, aber auch die Sklaverei und ihre bis in die Gegenwart zu spürenden Folgen kaum oder nur oberflächlich thematisiert. Eine idealisierte, stromlinienförmige Geschichtsschreibung entsteht dadurch, die im 20. Jahrhundert zusätzlich durch das neue Medium des Kinos fortgeschrieben wurde.
 
„Wenn die Legende Fakt wird, druck die Legende“ heißt es in „Der Mann, der Liberty Valance erschoss“, einem der berühmtesten Western der Filmgeschichte, auf den auch in „Playland USA“ angespielt wird, in einem der vielen unterschwelligen Verweise und Bezüge zu Momenten der amerikanischen Populärkultur. Schon lange vor der Wahl Donald Trumps hatten Regisseur, Autor und Kameramann Benjamin Schindler und sein Co-Autor Jan Wilde an der Arbeit zu ihrem Film begonnen und haben, auch wenn der Hauptteil der Dreharbeiten im Sommer 2017, also kurz nach der Amtseinführung Trumps, stattfand, den Fokus nicht auf den aktuellen US-Präsidenten gelegt.
 
Der ist mit seinem vorsichtig ausgedrückt losen Umgang mit der Wahrheit zwar Paradebeispiel für eine selektive Wahrnehmung der Geschichte, für einen Blick auf die Vergangenheit, der mehr von Hollywood als von der Realität geprägt ist, doch ist er damit keine Ausnahme. An vielen Orten Amerikas, an historischen Stätten wie dem Ort, an dem die transkontinentale Eisenbahnlinie geschlossen wurde, in nachgebauten Siedlungen der Pilgerväter, aber auch an realen Orten wie dem New Yorker Times Square oder der Vergnügungsmetropole Las Vegas wurde gedreht und beobachtet. Interviews gibt es nur wenige, eine theoretische Analyse der kulturellen und soziologischen Aspekte, um die es hier geht, wird nicht angestrebt. Das ist ein ambitionierter Ansatz, der nicht immer ganz aufgeht. Fast nur aus Bildern, aus Beobachtungen eine komplexe Argumentation zu formen ist kein leichtes Unterfangen, dass auch in „Playland USA“ bisweilen zu etwas plakativen Schnitten führt, die etwa allzu deutliche Parallelen zwischen den Soldaten, die im Unabhängigkeitskrieg kämpften, und denen, die in der Gegenwart im Irak oder Afghanistan deutlich weniger berechtigte Kriege kämpfen, zieht.
 
Viel subtiler sind da die Verweise an das Kino, mittels Bezügen zu bekannten Filmmusiken, wie der von „Blade Runner“, oder visuellen Bezügen zu Filmen wie „Psycho“ oder „Unheimliche Begegnung der dritten Art“, die das Bild von Amerika prägten. In welcher Form und vor allem mit welchen Folgen diese Frage zu beantworten ist dem Zuschauer überlassen, der durch „Playland USA“ einen eindrucksvollen, komplexen Einblick in das amerikanische Selbstverständnis bekommt.
 
Michael Meyns

Komplex, symbolgeladen und voller Verweise: Benjamin Schindler wagt in seiner ungewöhnlichen, den gängigen Sehgewohnheiten zuwiderlaufenden Doku „Playland USA“ einen Blick auf das amerikanische Selbstverständnis. Er reflektiert unser Bild von diesem Land, verschränkt die Vergangenheit mit der Gegenwart und stellt die Frage nach Schein und Sein.

Der Dresdener Filmemacher Benjamin Schindler befasst sich mit der wechselhaften Geschichte der Vereinigten Staaten und beleuchtet diese aus einem ungewöhnlichen Blickwinkel: Sein Film ist ein Mix aus Essay, Zeitreise, Fantasie und Märchen, mit dem Ziel, dem Selbstbild dieses riesigen Landes und seiner Bewohner näher zu kommen. Wie haben die großen Mythen, epischen Erzählungen und wichtigen Etappen in der Geschichte des Landes die eigene Identität geprägt und verändert?  Und welchen Einfluss hatten die Filmindustrie sowie das Medium „Kino“? Schindler legt eine allgegenwärtige Realitätsverschiebung offen, die sich zwischen Fakten und Weltflucht bewegt und großen Einfluss auf unsere Sicht auf die USA hat.

Ein paar Minuten dauert es schon, bis man sich an die poetische Bilderflut gewöhnt hat. Bis man diese aus Querverweisen bestehende, ab und an etwas sprunghaft wirkende filmische Reise in ihrer Bedeutungsvielfalt und anspielungsreichen Tiefe versteht. Zumal Schindler bei dieser Fahrt durch die US-Historie auf einen Erzähler oder einen Kommentar verzichtet. Der Zuschauer muss allein durch diesen Film navigieren und sich selbstständig zurechtfinden. Lässt man sich aber voll und ganz auf Schindlers experimentelles Werk ein und reflektiert das Gezeigte, erweitert es den eigenen Horizont ungemein.

Nach und nach fügen sich die einzelnen Mosaike, aus denen „Playland USA“ besteht, zu einem großen Ganzen zusammen. Und es wird klar, dass der Film genauso die Grenze zwischen Wirklichkeit und Fiktion (bewusst) verwischt, wie es die Mär vom „American Dream“ oder die filmischen Traumwelten aus Hollywood seit jeher tun. Den Bogen zu heute spannt die Doku mit der Frage, wie es möglich war, dass jemand wie Donald Trump Präsident dieses Landes werden konnte. Ein Mann, der sich mit seinen verklärenden Äußerungen zur amerikanischen Vergangenheit und den über Twitter verbreiteten, verzerrten (Halb-) Wahrheiten letztlich ebenso seine Scheinrealität zurechtbiegt.

In ruhigen, häufig in Zeitlupe präsentierten Aufnahmen unter anderem von Vergnügungsparks, Gebäuden, grell beleuchteten Straßenzügen und nachgestellten Spielszenen, weckt „Playland USA“  Emotionen und unzählige Assoziationen beim Zuschauer. Man denkt an all jene Protagonisten der modernen Popkultur, Gebiete, Themen und prägende Ereignisse, die die USA ausmachen und die wir unweigerlich mit dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten verbinden: den Wilden Westen und die Indianer, kommerzielle Raumfahrt, Superhelden wie Spider-Man und Superman, den Unabhängigkeitskrieg, Soldatenfriedhöfe, die Besiedlung des Kontinents sowie die Tendenz zu religiösem Wahn und Fanatismus.

Bei alledem bedient sich Schindler natürlich künstlerischer Freiheit, neigt zu satirischer Übertreibung und Überspitzung, ohne allerdings mit der Moralkeule zu schwingen oder sich lustig zu machen. Der Respekt bleibt gewahrt. Auffällig ist zudem, dass „Playland USA“ mit einer sorgsam austarierten, unkonventionellen Soundästhetik arbeitet. Die Geräusche ebenso wie die Tonaufzeichnungen untermalen das Gezeigte passend und sorgen für ein interessantes akustisches Gegengewicht zum assoziativen Bilderkosmos.

Björn Schneider

Die Geschichte der USA als Zeitreise-Erlebnis im Vergnügungspark: Das Filmessay von Benjamin Schindler vereint visuelle Poesie, historische Ereignisse und Bilder der Gegenwart zu einem fantasievollen Kaleidoskop des Zustandes einer Gesellschaft. Dabei mischen sich Realität, Traum und Fiktion, Vergangenheit und Gegenwart zur kritischen Auseinandersetzung mit Wirkung und Folgen populärer Kultur. Der amerikanische Traum in Bildern oder Hollywood forever…
 
Zu Beginn werden Porträts von Menschen gezeigt, die in die Kamera blicken: meistens ältere Leute, es sind keine Kinder dabei. Das Rätsel löst sich später – sie alle sind in historischen Freizeitparks, Museen oder Museumsdörfern tätig, wo sie Ereignisse aus der Geschichte der USA nachspielen oder entsprechende Exponate präsentieren. Von der Landung der spanischen Flotte unter Kolumbus im Jahr 1492 über die Unabhängigkeitserklärung, die Eröffnung der transkontinentalen Eisenbahn und den Bürgerkrieg bis zur Eroberung des Weltraums: Die Geschichte eines ganzen Landes wird hier ein ums andere Mal auf einzelne, wirkungsvolle Szenen und Bilder reduziert, die Rollen der damaligen Akteure spielen Laiendarsteller, manchmal unterstützt von Animatronics – wie in der Geisterbahn.
 
An diese Rummelplatzattraktion erinnert auch Benjamin Schindlers Dokumentation, denn sie führt das Publikum auf eine visuell höchst spannende Reise durch die Jahrhunderte, wo in jeder Kurve Überraschungen warten. Allerdings ist die künstlerische Gestaltung dabei höchst anspruchsvoll. Einerseits lässt Benjamin Schindler die Zuschauer oft amüsiert auf diese Exzesse der Pop-Kultur blicken, die sich stark am Hollywood-Mainstream orientiert. Vereinfachung und Sensationsgier bestimmen den Umgang mit der Historie; Träume, Ideale und Märchen spielen die Hauptrolle. Doch immer wieder wird die Chronologie gebrochen, immer wieder wechseln die nur scheinbar üblichen Bilder – es treten Irritationen auf, manchmal in Form von kurzen Szenen, die auf den ersten Blick nicht zum Gesehenen passen, manchmal auch als kurze Reminiszenzen an Filmklassiker. „Psycho“ lässt grüßen oder auch „Die unheimliche Begegnung der dritten Art“. Gelegentlich jedoch geschieht komplett Unerwartetes, so dass die Verbindungen zur Gegenwart deutlich werden: In die fast ausschließlich ruhmreich dargestellte Geschichte der USA mischt sich plötzlich die harsche Realität – der Amoklauf in einem Kino, Kriegsbilder, ein Veteran, der vom Vietnamkrieg erzählt. Manchmal holt die Fantasie die Realität ein und überholt sie sogar: ein Ausflug ins Weihnachtsland, die Reise zum Mars und der „Alien“ von Roswell. Das wirkt dann, als ob die Geschichte der USA in allen Aspekten vom unbedingten Willen zur Unterhaltung gesteuert würde. „Wir kennen die Grenzen zwischen Realität und Fiktion nicht mehr, weil wir sie verwischt haben“, sagt einer der Akteure.
 
Benjamin Schindler hat mit seiner raffinierten Form, in einer faszinierenden Bildsprache und mit seinem ab und an leicht überbordenden Willen zur Kunst ein kleines Meisterwerk geschaffen. Und obwohl die Geschichte der USA im Vordergrund steht: Hier geht es keinesfalls um plumpen Anti-Amerikanismus oder um das altbekannte Trump-Bashing – Benjamin Schindler bedient sich beinahe sämtlicher, ihm zur Verfügung stehenden filmischen Mittel, um seine Sicht auf ein ganzes Land darzustellen. Damit demontiert er das Selbstverständnis gleichzeitig, aber weil er mit denselben Mitteln spielt, ist er sowohl Kritiker als auch Verehrer. Damit ähnelt er einem Liebenden, der das Objekt seiner Begierde gleichzeitig hasst und begehrt. Derlei Spitzfindigkeiten sind naheliegend, die Philosophie hinter dem Film erschließt sich relativ schnell, dennoch soll nicht verschwiegen werden, dass „Playland USA“ ein anstrengender Film ist. Doch er ist spannend, virtuos getaktet, mit teils berauschenden, teils irritierenden Bildern – richtig gute Filmkunst.
 
Gaby Sikorski