Pol Pot Dancing

Zum Vergrößern klicken

„Pol Pot Dancing“, Pol Pot tanzt? Einer der schlimmsten Diktatoren des 20. Jahrhunderts, der als Führer der Roten Khmer Mitte der 70er Jahre Millionen Kambodschaner ermorden ließ? Hinter diesem provokanten Titel verbirgt sich eine vielschichtige Spurensuche, die bis in die Kindheit des Diktators zurückführt und den traditionellen Tanz des südostasiatischen Landes mit der Aufarbeitung der Diktatur verknüpft.

Webseite: https://jip-film.de/pol-pot-dancing

Dokumentarfilm
Deutschland/ Norwegen 2023
Regie & Buch: Enrique Sánchez Lansch

Länge: 102 Minuten
Verleih: jip Film & Verleih
Kinostart: 5. Dezember 2024

FILMKRITIK:

Chae Smay war eine legendäre Tänzerin, die von 1919 bis 1994 im südostasiatischen Land Kambodscha lebte. Und damit auch während der Herrschaft der Roten Khmer, die unter ihrem Führer Pol Pot zwischen 1975 und 1979 eine kommunistische Diktatur errichteten und in einem Blutrausch, der dazu dienen sollte, Regimegegner und -kritiker auszumerzen, circa zwei Millionen Menschen ermordeten. Und das in einem Land, dessen Population im Jahre 1975 auf gerade einmal 7,5 Millionen geschätzt wurde.

Während der Diktatur musste auch Chae Smay als Zwangsarbeiterin arbeiten, vorher war sie eine berühmte Tänzerin, die den traditionellen kambodschanischen Tanz Robam Kbach Boran zu neuen künstlerischen Höhen führte. Und die während der Diktatur feststellen musste, dass sie einst als Pflegemutter von Pol Pot agiert hatte, der der Bruder ihres Mannes war.

Durch glückliche Umstände überlebte Chae Smay die Säuberungen und die Zwangsarbeit und bemühte sich nach Ende der Diktatur um die Wiederbelebung des Robam Kbach Boran. Für die oft traumatisierten Tänzer*innen war der Tanz auch ein Mittel der Therapie, ein Weg, die Grauen der Diktatur hinter sich zu lassen und in die Zukunft zu blicken.

Manchmal reicht es für einen gelungenen Dokumentarfilm fast schon, auf ein kaum zu glaubendes Schicksal zu stoßen und es zu bebildern. So mag es dem Regisseur Enrique Sánchez Lansch, der mit Filmen wie „Rhythm is it!“ oder „In den Uffizien“ Erfolge feierte und seit etlichen Jahren Filmkurse in Kambodscha gibt. Dort stieß er auf die Geschichte von Chae Smay, die zwar schon seit vielen Jahren tot war, deren Arbeit und Engagement aber durch die von ihr unterrichteten Tänzer*innen weiterlebte.

Interviews mit diesen machen nun einen Aspekt von „Pol Pot Dancing“ aus, dazu kommen oft in den spektakulären Ruinen von Angkor Wat inszenierte Tanzszenen und vor allem nicht minder spektakuläres Archivmaterial. Aufnahmen von Chae Smay sind hier zu sehen, verwaschene Bilder, die die Tänzerin bei der Arbeit mit Schüler*innen zeigt, vor allem aber Fotos und Filmaufnahmen, die einen Abriss der Geschichte Kambodschas geben.

Und nicht zuletzt der Selbstinszenierung von Pol Pot, der sich wie so viele kommunistische Anführer als einfacher Mann des Volkes darstellte, der in einfachsten Verhältnissen aufwuchs, auch wenn die Wahrheit eine ganz andere war. Was hätten wohl seine oft fanatischen Anhänger dazu gesagt, wenn sie gewusst hätten, dass Pol Pot im Königspalast ein und ausging und sogar dem unter seinen Diktatur verfemten Tanz frönte?

Doch „Pol Pot Dancing“ ist keine bittere Abrechnung mit einem totalitären Regime, sondern ein Blick in die Gegenwart und Zukunft, in der auch die Rückbesinnung auf den traditionellen Tanz als Mittel zur Überwindung des Grauens dient. Gleichermaßen als Tanzfilm wie als historischer Dokumentarfilm funktioniert „Pol Pot Dancing“ und wird dadurch sozusagen in doppelter Hinsicht sehenswert.

 

Michael Meyns