Polite Society

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Rias Schwester Lena will ihre Künstlerkarriere auf Eis legen. Und wofür? Für die Ehe mit einem egozentrischen Jung-Millionär, der Böses im Schilde führt. Für Ria ist klar: ein Plan muss her. Die britische Filmemacherin Nida Manzoor vermengt in ihrem Langfilm-Debüt Elemente aus Rom-Com, Martial-Arts-Action, Bollywood und Coming-of-Age. „Polite Society“ ist klug, gewitzt, politisch und verbindet die Farbenpracht von Bollywood mit der Exzentrik waschechten britischen Humors. Ein Genre-umspannendes, vergnügliches Filmerlebnis.

Großbritannien 2023
Regie: Nida Manzoor
Buch: Nida Manzoor
Darsteller: Priya Kansara, Renu Brindle, Seraphine Beh,
Sally Ann, Shona Babayemi, Ritu Arya

Länge: 106 Minuten
Verleih: Universal Pictures
Kinostart: 24. August 2023

FILMKRITIK:

Schulmädchen Ria (Priya Kansara) ist eine pakistanische Muslimin aus London, die später einmal die größte Stuntfrau des Landes werden will. Das Verhältnis zu den Eltern ist schwierig, dafür versteht sich Ria mit ihrer Schwester Lena (Ritu Arya), einer Künstlerin, umso besser. Doch das ändert sich als Ria erfährt, dass sich Lena mit dem ebenso schmierigen wie selbstverliebten Muttersöhnchen Salim (Akshay Khanna) verlobt hat. Der Jung-Arzt und Sohn der berühmten Shah-Matriarchin plant seine Zukunft in Singapur – mit Lena an seiner Seite. Für Ria bricht eine Welt zusammen. Wie kann es sein, dass ihre Schwester all ihre Lebensgrundsätze und künstlerischen Träume für so einen Mann aufgibt? Als Ria die Wahrheit hinter den Plänen der Shah-Matriarchin erkennt, bleibt nur eine Möglichkeit: Um Lenas Leben zu retten, muss sie an ihrer eigenen Hochzeit entführt werden.

„Polite Society“ stammt von der britischen Regisseurin und Drehbuchautorin Nida Manzoor, die mit „We Are Lady Parts“ bereits eine in ihrer Heimat frenetisch gefeierte Serie schuf. Fast eine Dekade verging von Manzoors erster Idee zu „Polite Society“ bis zum fertigen Film. Mit ihrem Erstling gelingt ihr eine erfrischende, temporeiche und wilde Mixtur aus Tanzfilm, Bollywood-Hommage, Kampfkunst-Action, Komödie und Coming-of-Age. Im Zentrum steht die selbstbewusste Ria, die sich auch dann nicht von ihrem großen Berufswunsch abbringen lässt, als sich die geliebte Schwester von ihr lossagt. Und die Eltern wieder einmal auf sie Einreden, sie möge doch etwas Vernünftiges lernen.

Priya Kansara als Ria ist ein Hauptgewinn für den Film. Mit ansteckendem Elan und überbordender Energie meistert sie ihren Part. Sie begeistert sowohl in den nachdenklich-melancholischen Szenen mit würdevoller Zurückhaltung. Und gleichsam in den – spektakulär choreografiertem – Tanz- und Kampfszenen, in denen sie vollen Körpereinsatz zeigt. Auffallend ist wie sehr sich Manzoor darauf konzentriert, gängige Geschlechterklischees und antiquierte Rollenbilder zu hinterfragen. Und das gelingt ihr mit Nachdruck und ohne erhobenen Zeigefinger. Auch deshalb, weil sie die entsprechenden Szenen mit vergnüglicher Komik oder pointiertem Wortwitz garniert.

Die Rolle der unmündigen Frau in südasiatischen Ländern wie Pakistan und Indien, arrangierte Ehen, fehlende Gleichberechtigung und die Allmacht des Patriarchats. All diese Themen bringt „Polite Society“ aufs Tableau und kritisiert damit verkrustete Traditionen und überholte Ansichten.

Die Gags zünden darüber hinaus auf ganzer Linie, da Manzoor verrückte Einfälle und überspitzten Humor nicht scheut. Das zeigt sich in einer herrlich schrägen Geheimaktion in einem Fitnessstudio, in dem Ria und ihre Freundinnen Salims Laptop stehlen wollen. Dazu müssen sie in die Männerumkleide und unbemerkt durch die Duschen gelangen – der Beginn einer wunderbaren Szene, in der Verkleidung, Täuschung und toll getimte Comedy wichtige Rollen spielen.

„Polite Society“ ist ein Film, der das Ausleben der eigenen Persönlichkeit und das Festhalten an den eigenen Wünschen und Idealen regelrecht einfordert. Er feiert die Individualität und das Anderssein. Einen starken – auch optischen – Kontrast bilden die einheitlichen Schuluniformen, die Ria und ihre Mitschülerinnen tragen müssen. Gleichartigkeit vor Individualismus. Der Einzelne soll in der Masse untergehen. Doch nicht mit Ria. Ausdrucks-stark und ausgelassen beschreitet sie ihren Weg, der ganz klar auf Selbstverwirklichung ausgerichtet ist.

 

Björn Schneider