In Sachen feel-good-movie macht den Briten so leicht keiner etwas vor. Sie zaubern aus Underdogs, Arbeitslosen und Außenseitern quirlige Helden und pfiffige Stehaufmännchen, gegen die das biedere Betroffenheitspersonal deutscher Minderheiten-Komödien beschämend stümperhaft wirkt. "Pride" erzählt vom Streik der Minenarbeiter in Wales anno 1984. Um die Kumpel zu unterstützen, sammelt eine Schwulengruppe Geld – doch zuvor müssen erst diverse Vorurteile geknackt und die Betonköpfe der Gewerkschaft überlistet werden. Eine wahre Geschichte, witzig erzählt mit einem Füllhorn an Pointen, flotten Dialogen sowie liebenswerten Figuren mit Ecken und Kanten. Comedy in bester britischer "Full Monty"- und "Billy Elliot"-Tradition.
Webseite: www.senator.de
GB 2014
Regie: Matthew Warchus
Darsteller: Ben Schnetzer, George MacKay, Imelda Staunton, Bill Nighy, Dominic West, Andrew Scott
Filmlänge: 117 Minuten
Verleih: Senator
Kinostart: 30.10.2014
FILMKRITIK:
Mitte der 80er Jahre bringen die Bergarbeiter von Wales die britische Insel zum Beben. Die "Eiserne Lady" will die Zechen schließen, die Kumpel rufen zum Streik. Margaret Thatcher beordert massive Polizeikräfte in die Region, die (damals noch) mächtige Gewerkschaft hält dagegen. Als der junge Londoner Schwulen-Aktivist Mark Ashton im Fernsehen eine Reportage über den sich zuspitzenden Konflikt sieht, beschließt er spontan: Den Streikenden muss geholfen werden. "Diese Jungs werden von der Regierung, der Polizei und den Medien genauso diskriminiert wie wir" erklärt er seinem Aktivisten-Grüppchen im schwulen Buchladen die Schnittmenge der Solidarität. Die erste kleine Sammelaktion wird zum Erfolg, doch Mark will mehr. Er gründet die Unterstützergruppe "LGSM – Lesbians and Gays Support the Miners". Bei den offiziellen Betonköpfen der Gewerkschaft stößt die schwule Unterstützung indes auf wenig Gegenliebe. Erst in Dulais, einem kleinen Kaff in Wales, finden sie im lokalen Arbeiterführer Dai einen beherzten Verbündeten. Dessen Kollegen strotzen zunächst zwar gleichfalls vor Vorurteilen, doch die Frauen der Bergarbeiter schließen das regenbogenbunte Grüppchen bei einem Antrittsbesuch sofort ins Herz - und langsam wächst zusammen, was zusammen gehört.
Den perfiden Schmuddelkampagnen der Boulevard-Presse wird trotzig gekontert, die medialen Beleidigungen kurzerhand gekonnt umgemünzt: "Pits and Perverts", Minen und Perverse, betiteln die Aktivisten ihr großes Benefit-Konzert in London, bei dem auch "Bronski Beat" auftreten. Neben dem Politdrama bleibt reichlich Raum für Privates. Da durchlebt der schüchterne Joe sein bezauberndes Coming Out. Klobige Machos entdecken ihren weichen Kern – schließlich hat man mit den neuen Tanzkenntnissen weit mehr Erfolg bei den Frauen. Und ältere Ladys erfahren verzückt, dass Lesben nicht nur vegetarisch essen.
Dem erfahrenen Theatermann Matthew Warchus, der demnächst die Nachfolge von Kevin Spacey als künstlerischer Leiter des renommierten Old Vic in London antritt, gelingt in seinem zweiten Kinostreich ein lässiges Lustspiel mit flottem Tempo, gelungener Situationskomik sowie einem charmanten Ensemble, zwischen dem die Chemie aufs Beste stimmt. Neben Bill Nighy ("Tatsächlich Liebe"), Imelda Staunton ("Vera Drake") und Dominic West ("300") überzeugen die Newcomer Ben Schnetzer ("Die Bücherdiebin") und George MacKay, der in diesem Jahr zum "European Shooting Star" gekürt wurde.
Wie es sich für eine gelungene Komödie gehört, fehlen auch die tragischen Elemente nicht. Ob eifersüchtige Intrigen, homophobe Gewalt oder die privaten Probleme des Rebellen Mark. Am Ende haben Hass und Vorurteile freilich keine Chance. Es gewinnen die Guten, und das nicht nur in diesem "feel-good-movie", schließlich handelt es sich um eine wahre Geschichte. Eine der Bergarbeiterfrauen ist mittlerweile Abgeordnete. Sie sorgte dafür, dass dieses Kapitel britischer Geschichte auch im Parlament offiziell vorgeführt werden wird. Die "Eiserne Lady" dürfte sich im Grabe umdrehen. Ken Loach wird seine Freude haben – und kann sich bei solchen Nachfolgern getrost in den beabsichtigten Ruhestand verabschieden.
Dieter Oßwald