Primadonna – Das Mädchen von Morgen

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Gerade im Kino faszinieren die archaischen Strukturen Siziliens, mit ihren Geschichten um die Mafia und eine sogenannte Ehre, doch es gab eine besonders dunkle Seite: Die quasi rechtlose Rolle der Frau, die etwas im Fall einer Vergewaltigung als Schuldige betrachtet wurde, die sich und ihre Familie entehrt hatte. Von dieser nicht allzu fernen Vergangenheit erzählt Marta Savina in „Primadonna – Das Mädchen von Morgen.“

Italien 2022
Regie & Buch: Marta Savina
Darsteller: Claudia Gusmano, Fabrizio Ferracane, Manuela Ventura, Dario Aita, Francesco Colella

Länge: 97 Minuten
Verleih: Kairos
Kinostart: 10. April 2025

FILMKRITIK:

In der kleinen Gemeinde Alcamo auf Sizilien lebt Mitte der 60er Jahre Lia (Claudia Gusmano). Die 21jährige hilft gerne ihrem Vater Pietro (Fabrizio Ferracane) auf dem Feld, im kleinen Haus der Familie leben noch ihre Mutter Sara (Manuela Ventura) und ein kleiner Bruder. Ursprünglich und traditionell läuft das Leben in der kleinen Stadt ab, der Priester (Paolo Pierobon) steht über fast allem, vielleicht sogar über der lokalen Mafia-Familie, den Musicòs.

Deren Sohn Lorenzo (Dario Aita) kennt Lia schon seit langem, man versteht sich auch nicht schlecht, doch spätestens als Lia klar wird, dass sie durch eine Ehe mit dem überaus eifersüchtigen Lorenzo sämtliche Freiheiten verlieren würde und auch nicht mehr zusammen mit ihrem Vater auf dem Feld arbeiten könnte, lehnt sie eine Heirat ab.

Doch das hält Lorenzo nicht ab: Den archaischen Gebräuchen der Insel folgend, entführt er Lia zusammen mit seinen Freunden und vergewaltigt sie. Da Lia nun Schande über sich und ihre Familie gebracht hat, bleibt ihr nur eine Lösung: Wenn sie ihren Peiniger heiratet ist die Sache vergessen und den Traditionen und Gott genüge getan. Doch Lia weigert sich und zeigt Lorenzo stattdessen an, wohl wissend, welche Folge ihre Entscheidung für sie und ihre Familie haben wird.

Franca Viola hieß die junge Frau, die 1966 die Primadonna war, die erste Frau (oder zumindest eine der ersten), die sich den archaischen Traditionen widersetzte. Ihre Geschichte kennt in Italien jeder, viele Jahre später wurde Viola sogar mit dem Verdienstorden der Italienischen Republik ausgezeichnet. Nicht ganz so lang, aber dennoch viele Jahre dauerte es, bis die Gesetze geändert wurden: 1981 wurde das sogenannte Matrimonio riparatore verboten. Typisch Sizilien mag man da denken, sollte sich als Deutscher aber auch nicht zu sehr auf die eigene Schulter klopfen. Erst 2004 wurde etwa in der Bundesrepublik die Vergewaltigung in der Ehe zu einer offiziellen Straftat erklärt.

Viele Jahre später, in der #metoo-Ära, behandelt nun Marta Savina den Stoff in einem Spielfilm, der die Fakten ohne besondere Stilisierung darstellt. Eine betont unsentimentale Herangehensweise, die zwar verhindert, dass die Ereignisse sensationalisiert werden, aber bisweilen auch für Ratlosigkeit sorgt. Die heftigen Aversionen etwa, die die Familie in der kleinen Dorfgemeinschaft erleiden musste werden kaum spürbar, etwaige Konflikte innerhalb der Familie, finden nicht statt und selbst das Gerichtsverfahren läuft erstaunlich unspektakulär ab und suggeriert, dass die bloße Aussage einer Frau selbst Ende der 60er genügt hat, um einen Vergewaltiger hinter Gitter zu bringen. Dass eine Jahrhundertealte Tradition in einer so patriarchalisch und von Machismo geprägten Gesellschaft sich so einfach über den Haufen werfen ließ, scheint eher einem modernen Blick geschuldet.

So überzeugt „Primadonna – Das Mädchen von Morgen“ weniger als Drama, denn als Dokument einer vergangenen Ära, in der Teile Italiens noch weit von der Gleichstellung der Geschlechter entfernt war. Dass es im Anschluss an den dargestellten Fall noch so lange dauerte, bis sich dann auch die Gesetze änderten, ist eine finale Ironie.

 

Michael Meyns