Projekt Ballhausplatz

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Die Karriere des Popstars der europäischen Politik: Die Dokumentation „Projekt Ballhausplatz“ geht der Frage nach, wie der beispiellose Aufstieg des österreichischen Ex-Bundeskanzlers Sebastian Kurz möglich war. Und wer, mit ihm gemeinsam, das ausgeklügelte System aus Manipulation, Marketing und Heimtücke über Jahre am Laufen hielt. „Projekt Ballhausplatz“ verbindet einprägsame Archivbilder mit aufschlussreichen Interviews und fasst so dieses erschütternde Polit-Drama anschaulich zusammen.

Österreich 2023
Regie: Kurt Langbein
Buch: Kurt Langbein

Verleih: Real Fiction
Länge: 100 Minuten
Kinostart: 18. Juli 2024

FILMKRITIK:

Der österreichische Filmemacher und Wissenschaftsjournalist Kurt Langbein zeichnet in „Projekt Ballhausplatz“ den politischen Werdegang von Sebastian Kurz nach, der 2021 wegen Korruptionsvorwürfen vom Amt des Bundeskanzlers zurücktrat. Zwei Jahre zuvor war es zur berühmt-berüchtigten „Ibiza-Affäre“ gekommen: jener politische Skandal, der zum Bruch der Regierungskoalition aus Kurz‘ ÖVP und der FPÖ führte. Langbein interessiert sich vor allem für die Jahre davor, für den kometenhaften Aufstieg eines charismatischen Jungpolitikers, dem Macht und Ansehen stets wichtiger waren als Ehrlichkeit und Loyalität seinen Wählern und dem Land gegenüber.

Chronologisch und akkurat arbeitet Langbein die Jahre bis 2019 und damit die entscheidenden politischen Stationen von Sebastian Kurz bis zum Skandal auf. Angefangen von seiner Zeit als Chef der Jungen ÖVP, als er 2010 mit einer provokanten Kampagne und einem „Geilomobil“ getauften Gefährt medienwirksamen Wahlkampf betrieb – und erstmals ins Blickfeld des öffentlichen Interesses geriet. Mit Erfolg. Dann ging es Schlag auf Schlag. Erst Integrationsstaatsekretär, dann Außenminister, Chef der ÖVP und schließlich, 2017, am Ziel seiner Träume: Kanzler mit 31 Jahren.

Dass dem Weg an die Macht von Beginn an ein bis ins kleinste Detail ausgearbeiteter Masterplan zugrunde lag, das zeigt „Projekt Ballhausplatz“ (benannt nach dem historischen Platz, an dem das Bundeskanzleramt liegt) sehr anschaulich. Langbein kombiniert TV-Archivaufnahmen mit spannenden Interviews früherer Weggefährten, Medienschaffenden (z.B. Ex-Kurier-Chefredakteur Helmut Brandstätter) und Wissenschaftlern, die das Gezeigte einordnen und mit ergänzenden, zentralen Informationen anreichern. Besonders interessant sind die Äußerungen der damaligen politischen Weggefährten aber auch der Kontrahenten, darunter Petr Baxant, SPÖ-Politiker und seit jeher bekannt als scharfer Kritiker von Sebastian Kurz.

Spricht man in 100 Jahren von Sebastian Kurz, sei das einzige, was von ihm bleibt und woran man sich erinnert, sein Einsatz für die Einführung der 24-Stunden-U-Bahn in Wien, so Baxant. Das war 2010. Noch deutlicher bringt es die Journalistin Barbara Tóth auf den Punkt, die – für den Zuschauer stets nachvollziehbar – das „System Kurz“ erklärt. So erläutert sie etwa eines der wichtigsten Werkzeuge von Kurz und seinen „Prätorianern“, also seiner engsten Gefolgsleute und Vertrauten: die radikale Kontrolle der Kommunikation nach Innen und Außen sowie die bewusste, perfide Steuerung der medialen Berichterstattung und damit der öffentlichen Meinung. „Der Aufstieg zum Bundeskanzler ist nicht nur Kurz‘ Talent, sondern nicht zuletzt eines massiven Mitteileinsatzes geschuldet“, fasst sie zusammen. Gemeint sind Korruption und Bestechung auf Kosten des österreichischen Steuerzahlers.

Weitere Einblicke in die illegalen „Aktionen“ und fassungslos machenden Methoden von Kurz und seinen ihm treu ergebenen Lakaien gewähren Chat-Verläufe, vor allem zwischen Kurz und Thomas Schmid, Ex-Kabinettschef ins Finanzministerium. Diese streut Langbein an gut gewählten Stellen in seinen dramaturgisch klug aufgebauten Film ein. Am Ende bleibt zudem die ernüchternde Erkenntnis, dass ebenso die Medien ihren Anteil an der erfolgreichen Karriere von Sebastian Kurz hatten. Sie waren zu unkritisch und lagen dem juvenilen, eloquenten Blender mit der perfekt sitzenden Frisur zu schnell und zu arglos zu Füßen.

 

Björn Schneider