Kino lebt oft von Kontrasten, von Gegensätzen, die zu absurd erscheinen, um wahr zu sein. Afrika und Schachspielen etwa sind zwei Dinge, die für den Betrachter von Außen kaum in Einklang zu bringen sind und genau darum geht es in „Queen of Katwe“, ein biographischer Film, den die indische Regisseurin Mira Nair auf dem schmalen Grad zwischen Pathos und Elend inszeniert. Ihr ist ein bemerkenswert vorurteilsloser Blick auf eine erstaunliche Geschichte gelungen, die einem ungewöhnlichen Blick auf Afrika einnimmt.
Webseite: www.disney.de
USA 2016
Regie: Mira Nair
Buch: William Wheeler
Darsteller: Madina Nalwanga, David Oyelowo, Lupita Nyong'o, Martin Kabanza, Taryn Kyaze, Ivan Jacobo
Länge: 110 Minuten
Verleih: Disney
Kinostart: 20. April 2017
FILMKRITIK:
Katwe heißt einer der elendsten Slums von Kampala, der Hauptstadt des ostafrikanischen Staates Uganda. Hier wächst Phiona (Madina Nalwanga) auf, bei ihrer Mutter Nakku (Lupita Nyongo'o und diversen Geschwistern, die schon in viel zu jungen Jahren dazu gedrängt werden, für den Unterhalt der Familie zu sorgen. An Schulbildung ist kaum zu denken, ein Ausweg aus dem Slum fast unmöglich, im Normalfall wird Phiona schon als Teenagerin schwanger werden und als Tagelöhnerin ein karges Auskommen fristen.
Doch dann geschieht ein Wunder und Phiona gerät an ihren rettenden Engel: Robert Katende (David Oyelowo), ein engagierter Mann, der sich für die am wenigsten privilegierten Kinder und Jugendlichen einsetzt. Fußball spielt er mit ihnen und im Notfall auch Schach, ein Sport, bei dem bald auch Phiona erstaunliches Talent beweist. Anfangs tut sich das junge Mädchen noch schwer, die komplizierten Regeln zu lernen, doch bald besiegt sie viel erfahrenere Spieler und wird zur Hoffnung des ugandischen Schachs. Eine erstaunliche Karriere beginnt, die es Phiona ermöglicht, ihrer Familie ein besseres Leben zu geben.
Mit selbst geschnitzten Figuren wird Schach gelernt, im Kerzenschein komplizierte Stellungen analysiert, doch Phionas Reise hat damit erst begonnen. Erst im Sudan, dann in Moskau zeigt sie ihr Talent, besiegt viel ältere Spieler und ist inzwischen auf dem Weg, die erste Großmeisterin ihres Landes zu werden. Doch um das Schachspiel an sich geht es der indischen Regisseurin Mira Nair („Salaam Bombay“, „Monsoon Wedding“) nur am Rand. Die Darstellung des königlichen Spiels ist eher oberflächlich, fast jede Partie endet unrealistischerweise mit einem eindeutigen Schach Matt, doch das macht nichts.
Viel wichtiger ist es zu sehen, wie Phiona durch ihre Erfolge beim Schach langsam an Selbstvertrauen gewinnt, realisiert, dass das Leben ihr mehr bieten könnte, als ein Leben im Slum Kampalas. Den zeigt Mira Nair in grellen, leuchtenden Farben, voller Energie und Zuversicht, was die tatsächlichen Verhältnissen zwar etwas beschönigt, aber nicht über die Maßen. Gerade für einen vom Disney-Konzern produzierten Film, der eine mitreißende Selbstfindungsgeschichte erzählen will, ist „Queen of Katwe“ durchaus realistisch. Die sozialen Gegensätze Ugandas werden nicht verheimlicht, die Vorurteile, die Abscheu, die die Mittel- und Oberschicht oft gegenüber der Unterschicht empfindet, deutlich gezeigt, vor allem aber auf jegliche weiße Figuren verzichtet. Kommt sonst kaum ein US-Film über Afrika ohne zumindest einen weißen Helden aus, der den notorisch unterentwickelten Afrikanern zeigt, wie sie sich aus ihrem Elend befreien können, sind es hier ausschließlich Schwarze. Ja, die Hauptrollen werden von einem Engländer bzw. einer Amerikanerin gespielt, doch abgesehen von diesem quasi Star-Duo, sind alle Rolle mit jungen, einheimischen Schauspielern besetzt, die „Queen of Katwe“ selten gesehene Authentizität verleihen. Mit über 120 Minuten Länge strapaziert Mira Mair zwar etwas die Geduld, dennoch ist ihr ein bemerkenswert vorurteilsloser Blick auf eine erstaunliche Geschichte gelungen, die einem ungewöhnlichen Blick auf Afrika einnimmt.
Michael Meyns