Was bewegt Frauen, sich dem Islamischen Staat anzuschließen? Diese Frage interessierte Mareike Engelhardt, die mit einigen Rückkehrerinnen gesprochen hat und das Erzählte in ein Drehbuch einfließen ließ, das sie selbst verfilmt hat. Es ist die Geschichte zweier Frauen, die von Frankreich aus nach Syrien aufbrechen, weil sie glauben, dort ihr Glück zu finden. „Rabia – Der verlorene Traum“ wurde bereits mehrfach auf Festivals ausgezeichnet, u.a. mit dem Prix D’Ornano-Valenti auf dem Filmfestival Deauville.
Website: http://www.alpenrepublik.eu/rabia.html
Rabia – Der verlorene Traum
Deutschland / Frankreich / Belgien 2024
Regie: Mareike Engelhardt
Buch: Mareike Engelhardt
Darsteller: Megan Northam, Lubna Azabal, Natacha Krief
Länge: 94 Minuten
Verleih: Alpenrepublik
Kinostart: 23. Januar 2025
FILMKRITIK:
Jessica und ihre beste Freundin Laïla haben sich von den Versprechungen auf ein besseres Leben locken lassen. Sie sind gläubig, fromm, und des Lebens, wie es ist, überdrüssig. So brechen sie auf nach Syrien, um sich dem Islamischen Staat anzuschließen und dort zu Frauen für Gotteskrieger zu werden. Eigentlich wollten sie Erst- und Zweitfrau eines Manens werden, doch dann trennen sich ihre Wege und Jessica versinkt immer tiefer in den Lehren des IS.
Auf die Frage, wieso sie nach Syrien gekommen ist, antwortet Jessica zuerst mit den gängigen Antworten: Weil sie Allah dienen will. Erst als nachgehakt wird, erklärt sie, dass sie zuhause von niemandem gesehen wurde, dass sie als Pflegerin den Alten den Hintern abgewischt hat, ihr aber niemand mit Respekt begegnete. Sie wollte nicht länger eine Sklavin des Systems sein. Sie wollte frei sein. Dass sie sich in ein anderes System begibt, in dem sie noch weniger wert ist, scheint die 19-jährige nicht zu merken. Der Film beschreibt nicht ihre Zweifel, falls sie denn welche hat. Er zeigt sie als eine Frau, die zu jung, zu unerfahren, letztlich zu labil ist, um sich zu widersetzen. Im Gegenteil, erst wird sie gebrochen, dann ist sie selbst Teil des Systems.
Mareike Engelhardt liefert ein interessantes Psychogramm ab. Das einer Frau, die glaubt, Freiheit in der Unfreiheit zu finden, die erst von Gewalt abgestoßen ist, sie dann selbst aber ausübt, die sich voll und ganz in einer Ideologie wiederfindet, in der die angelockten Frauen nur zwei Zwecke erfüllen mussten – als Gebärmaschinen und als Sexobjekte zu dienen. Ein Schicksal, das Jessica nicht wahrhaben will, auch wenn es ihr in Form ihrer besten Freundin vor Augen geführt wird.
Es ist ein anrührender, ein aufrüttelnder, ein schmerzhafter Film, den Engelhardt erschaffen hat. Weil er von verlorenen Seelen erzählt. Von Menschen, die nach einem Sinn, nach einer Bestimmung, zumindest aber nach ein wenig Glückseligkeit suchen und denken, sie im Glauben gefunden zu haben. Sie sind die Opfer einer ideologisierten Propaganda, aber auch ihrer eigenen falschen Vorstellungen. „Wir haben uns geirrt“, sagt Laïla in einer besonders intensiven Szene. Aber das versteht nicht jede dieser Frauen.
Peter Osteried