Reality

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In wenigen Monaten wird in den USA gewählt, eine Entscheidung zwischen Demokratie und Diktatur, wie es mancherorts heißt. Passend zu dieser Richtungswahl kommt nun mit „Reality“ ein Film ins Kino, der eine Episode in Folge der vorletzten Wahl als Doku-Drama nachzeichnet. In den besten Momenten wirkt Tina Satters Film dabei Kafkaesk, in anderen allzu ideologisch.

USA 2023
Regie: Tina Satter
Buch: Tina Satter, James Paul Dallas,
Darsteller: Sydney Sweeney, Josh Hamilton, Marchánt Davis, Benny Elledge, John Way, Allan Anthony Smith

Länge: 83 Minuten
Verleih: Plaion Pictures/ Grandfilm
Kinostart: 8. Februar 2024

FILMKRITIK:

Schon bevor Donald Trump im November 2016 die Wahl zum amerikanischen Präsidenten gewann, wurden Stimmen laut, die von einer versuchten Einflussnahme Russlands berichteten. Das FBI ermittelte, doch Anfang Mai 2017 wurde der noch von Obama eingesetzte FBI-Chef James Comey entlassen. Die Gerüchteküche brodelte, bald darauf veröffentlichte die Internetseite theintercept einen Artikel, der auf einem internen Bericht basierte, der versuchte russische Einflussnahme auf die Wahl nahelegte.

Hier beginnt „Reality“, der erste Spielfilm von Tina Satter, die den Stoff schon in einem Theaterstück verarbeitete. Grundlage des kaum 80 Minuten langen Films sind Tonbandaufzeichnungen der Verhaftung von Reality Winner durch Beamte der CIA. Es beginnt verdächtig harmlos: Reality Winner (Sydney Sweeney), die als Übersetzerin in einer CIA-Unterfirma arbeitet und durch ihre Arbeit Zugang zu internen, streng geheimen Unterlagen hat. Als sie nichtsahnend nach Hause kommt, wird von zwei Männern konfrontiert. Es sind die beiden CIA-Agenten Garrick (Josh Hamilton) und Taylor (Marchánt Davis), die sich harmlos geben und von verlegten Papieren sprechen. Während sich das Gespräch zunächst um Banalitäten wie Winners Tiere oder ihren Einkauf dreht, tauchen im Hintergrund immer wieder bedrohliche schwarze SUVs auf.

Betont banal wirkt das Gespräch, das lange kaum als Verhör bezeichnet werden kann. Doch spätestens, wenn ein halbes Dutzend Agenten in Winners Haus steht und jedes Stück Papier umdreht, ahnt man, dass es hier um etwas Größeres geht.

Minutiös wird das Gespräch nachgezeichnet, anfangs vor dem Haus, bald in der Küche, schließlich in einer Art Abstellkammer, ein leerer, kalter Raum ohne Tisch und Stühle, in dem nach und nach die Wahrheit ans Licht kommt: Winner hat einen geheimen Bericht ausgedruckt und an die Internetseite theintercept geschickt, an ihrer Schuld besteht kein Zweifel, ob die langjährige Haft, zu der sie verurteilt wurde allerdings angemessen war, darüber mag man diskutieren.

„Ich wusste, dass es ein Geheimnis war, aber ich wusste auch, dass ich geschworen hatte, dem amerikanischen Volk zu dienen“, wird Winner am Ende zitiert. Die daraus folgende Frage wäre nun, ob auch Geheimnisverrat im Dienst des Volkes geschehen kann und damit berechtigt wäre. Eine Verteidigungslinie, die allerdings nicht nur von sich eher auf der linken Seite des politischen Spektrums verortenden Personen wie Reality Winner verwendet wird, sondern auch von Rechten, wie etwa dem Mob, der am 6. Januar 2021 das Kapitol stürmte. Ob zu messen ist, wann und wie eine Straftat legal sein kann, weil sie sich gegen ein Unrecht richtet, auch von dieser Frage erzählt „Reality“, ein Film, der perfekt in die polarisierten Diskussionen passt, die nicht nur in Amerika, sondern auch zunehmend in Deutschland die Gesellschaft spalten.

In seinen besten Momenten gelingt Tina Satter mit ihrem ersten Spielfilm ein düsteres Kammerspiel, das praktisch ausschließlich in lichtdurchfluteten Räumen spielt, das eine oft banal anmutende Unterhaltung zeigt, die mäandert, fast zerfasert, nur um nach und nach zum Kern des Ganzen zu kommen. Am Ende scheint der Film die Frage zu stellen, ob so viel Aufwand für so einen kleinen Geheimnisverrat gerechtfertigt ist. Andererseits: Ab wann sollte der Verrat von Geheimnissen strafbar sein und wer entscheidet das? Fragen, die „Reality“ nicht beantworten kann, aber zur Diskussion stellt.

 

Michael Meyns