Dass Geld allein nicht glücklich macht, hört man immer wieder. Per se lebensbedrohlich ist es aber ebenso wenig, zumindest in der Realität. Anders sieht das in der neuen Regiearbeit des Spaniers Galder Gaztelu-Urrutia aus, der dem Streaming-Anbieter Netflix im Jahr 2019 mit seinem Spielfilmdebüt „Der Schacht“ einen veritablen Hit bescherte. Der Titel von „Rich Flu“ ist wörtlich zu nehmen, geht es darin doch um eine mysteriöse globale Seuche, die ausschließlich superreiche Menschen sterben lässt. Eine griffige Idee, aus der allerdings eine fahrige, verschiedene Genres anreißende Geschichte mit satirischem Einschlag erwächst.
Webseite: https://www.leoninedistribution.com/filme/176087/rich-flu.html
Spanien/USA/Kolumbien 2024
Regie: Galder Gaztelu-Urrutia
Drehbuch: Galder Gaztelu-Urrutia, David Desola, Pedro Rivero, Sam Steiner
Cast: Mary Elizabeth Winstead, Rafe Spall, Lorraine Bracco, Dixie Egerickx, Timothy Spall, Jonah Hauer-King, César Domboy u. a.
Länge: 117 Minuten
FSK: ab 12 Jahren
Verleih/Vertrieb: Leonine
Kinostart: 12. Dezember 2024
Die Welt steht am Abgrund! Das zumindest ist die Prämisse eines Film-Pitches, den sich die für einen Streaming-Dienst in leitender Position arbeitende Laura (Mary Elizabeth Winstead) gleich zu Beginn mit gespieltem Interesse anhört. In der Reihe derer, die ihr unbedingt ein Konzept verkaufen wollen, taucht plötzlich auch ihr Ehemann Tony (Rafe Spall) auf, von dem sie offenbar getrennt lebt. Eindringlich muss er sie an den Geburtstag ihrer gemeinsamen Tochter Anna (Dixie Egerickx) erinnern, den die ganz auf ihren Job fokussierte Laura unter „Sonstiges“ abzuheften scheint.
Als eine in Aussicht stehende Beförderung an ihr vorbeigeht, herrscht erst einmal Verärgerung. Doch dann erhält Laura die Chance, an einem strenggeheimen Meeting in der Einöde Alaskas teilzunehmen. Anwesend: Eine Reihe enorm wohlhabender Leute, die von Sebastian Snail (Timothy Spall), Lauras Arbeitgeber, in ein wegweisendes Zukunftsprojekt mit sozialer Grundierung eingeweiht werden. Ihr selbst winkt ein neuer Job, auf den sie sich bereitwillig stürzt, da er ihr umgehend Geld in Hülle und Fülle beschert. Dumm nur, dass sie im Rausch ihres Jetset-Lebens nicht richtig mitbekommt, dass gerade eine rätselhafte Epidemie über den Erdball rollt, der nur die besonders Vermögenden und Mächtigen zum Opfer fallen. Erste Anzeichen der Erkrankung sind unnatürlich weiß leuchtende Zähne.
Thematisch bleibt sich Galder Gaztelu-Urrutia treu. Wie schon in „Der Schacht“ und dessen Fortsetzung nimmt der auch am Drehbuch beteiligte Regisseur soziale Ungleichheit und ihre grausamen Auswirkungen in einem dystopischen Szenario ins Visier. Weitergehende Erklärungen zu der doch sehr ungewöhnlichen Seuche gibt es übrigens nicht. Der Film platziert sie und entwickelt aus ihr eine recht grob gezimmerte Kapitalismuskritik.
Zuvor tauchen wir aber erst einmal in eine nicht weniger plakative Satire auf den verlogenen Medienbetrieb ein. Im Filmbusiness wird viel gelächelt. Neid und Missgunst sind jedoch stets nur einen Wimpernschlag entfernt. Mittendrin befindet sich unsere Protagonistin, die – ein durchaus mutiger Move der Macher – alles andere als sympathisch gezeichnet ist. Ihr Gutes zu wünschen, fällt nicht gerade leicht angesichts der Ichbezogenheit, die sie immer wieder an den Tag legt. Ganz schön böse etwa, dass sie aus Angst, vom neuen Virus erwischt zu werden, ihren frisch erworbenen Reichtum kurzerhand ihrem Assistenten (Jonah Hauer-King) zuzuschustern versucht.
Aus dem wenig vorteilhaften Blick auf das Filmgeschäft wird ein Katastrophenthriller mit klassischen Elementen: Nachrichtenclips, desorientierende Bilder, Panik und ein Kampf ums Überleben, bei dem sich jeder selbst der Nächste ist. Waren die Reichen bislang darauf bedacht, immer mehr anzuhäufen, wollen sie nun alles so schnell wie möglich abstoßen und erfahren überall Ausgrenzung. Das, was sonst nur den Mittellosen geschieht. Im um sich greifenden Chaos findet Laura wieder zu ihrer Familie, auch zu ihrer entfremdeten Mutter (Lorraine Bracco), die in einer spanischen Kommune lebt. Und mit einem Mal wandelt sich der Film zu einem Flüchtlingsdrama unter verkehrten Vorzeichen. Weiße Wohlstandsbürger gelangen nach Lampedusa, hoffen auf Asyl in Afrika und müssen harschen Bedingungen trotzen.
Was reizvoll und clever klingen mag, entpuppt sich leider oft als schematische, die Figuren nicht wirklich ernstnehmende Angelegenheit mit rührseligen Einsprengseln. Überzeugend gelingen will „Rich Flu“ der Genrespagat jedenfalls nicht. Holprig wird es besonders gegen Ende, wenn manche Entwicklungen als mit Musik unterlegte Montagen erzählt werden. Im positiven Sinne irritierend ist dann aber die letzte Einstellung, die Erwartungen unterläuft und die hässliche, gar krankhafte Fratze des Kapitalismus aufblitzen lässt.
Christopher Diekhaus